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Kultur: Mit Engelszungen

Der Chor der Erlöserkirche feiert 60. Jubiläum – und singt bei der Vocalise 2017 erstmals Monteverdi

Die Vocalise ist ohne die Potsdamer Kantorei nicht denkbar. Der Chor ist zwar nicht der einzige Klangkörper des Vocalfestivals – doch ohne seine Mitwirkung würde dem Festival, das morgen in der Erlöserkirche eröffnet wird, eine wichtige Farbe fehlen. Auch 2017 sind die Sängerinnen und Sänger der Kantorei bei dem kleinen Festival, das von dem Verein Musik an der Erlöserkirche e.V. und dessen künstlerischem Leiter Ud Joffe verantwortet wird, dabei.

In diesem Jahr singen sie zum Abschluss des Festivals ein Novum, eine Komposition von Claudio Monteverdi: die Marienvesper von 1610. Es ist ein Hauptwerk des frühen Barock, das vor allem an die Sänger große Herausforderungen stellt. Aufrüttelnd und feierlich geht es in der Marienvesper zu, die eine Hommage an die Mutter Jesu darstellt. Schön, dass Ud Joffe dieses epochale Werk zum Ende der Feierlichkeiten des 450. Geburtstags des Komponisten ausgewählt hat.

Vor 60 Jahren wurde der Chor gegründet. Obwohl an der Kirche in der Nansenstraße ein kleiner Kirchenchor bestand, kann man die Amtsübernahme von Kantor Friedrich Meinel 1957 als Kirchenmusiker als die Geburtsstunde der Musica sacra an der Erlöserkirche bezeichnen. Der aus dem Erzgebirge Gebürtige hatte an der Kirchenmusikschule studiert und war zunächst in Mühlhausen tätig gewesen. Aus der Erlöserkirche machte er einen Leuchtturm der Musica sacra in Potsdam.

Das war zunächst nicht immer einfach. Manch anderer sinfonische Chor sah in der Kantorei einen gefährlichen Konkurrenten. Aber das sollte sich ändern. In der Stadt an der Havel, so stellte sich heraus, können mehrere vokale Klangkörper nebeneinander existieren und manchmal sogar kooperieren. Eine wirkungsmächtige Chorlandschaft hat sich entwickelt. Sie besteht bis heute.

Schwierigkeiten machten zu DDR-Zeiten die regen Mitarbeiter der Zensurbehörden, etwa bei Druckgenehmigungen, Nennungen von Orchestern auf Plakaten oder bei der Einreise beispielsweise des Komponisten Hans Chemin-Petit aus der BRD. Auch der Leitung der Pädagogischen Hochschule Potsdam war in den 1060er Jahren die Kantorei ein Dorn im Auge. Die frisch immatrikulierten Studenten wurden gewarnt, dass man den Chor meiden solle wie der Teufel das Weihwasser. Das Gegenteil trat ein. Bald zählte der Klangkörper bis zu 130 Mitglieder. Ein Motettenchor wurde gegründet, mit dem Kantor Meinel A-cappella-Werke sang. Zudem gab es einen sehr gut besuchten Kinder- und Jugendchor, den Annemarie Meinel leitete. Diese Bildungsarbeit zeigte Wirkung. So manch Ehemaliger, der unter der Obhut der Meinels sang, wurde professioneller Musiker oder Sänger.

Höhepunkte der kirchenmusikalischen Arbeit waren natürlich die Aufführungen der großen Werke der Musica sacra von Bach, Händel, Haydn, Mozart, Mendelssohn, Brahms oder Bruckner. Aber auch dem zeitgenössischen Werk hat sich Meinel zugewandt, beispielsweise Frank Martins „Golgotha“, Benjamin Brittens „War Requiem“ oder dem Potsdamer „Te Deum“, eine groß angelegte Komposition von Helmut Barbe. Es wurde zur 1000-Jahr-Feier Potsdams 1993 uraufgeführt. Solistin war die Sopranistin Adele Stolte, die regelmäßig mit der Kantorei musizierte. Nach 40 Jahren verabschiedete sich Friedrich Meinel, der inzwischen mit dem Titel Kirchenmusikdirektor gewürdigt wurde, vom Kantorenamt.

Lange musste die Kantorei auf einen Nachfolger nicht warten. Ud Joffe übernahm den Chor. Der gebürtige Israeli hatte unter anderen an der Universität der Künste Berlin Dirigieren studiert, jetzt verband er die Tradition der Kantorei mit neuen Ideen. Bedeutende sinfonische Chorwerke stehen weiter auf dem Programm der Kantorei, aber Joffe wird auch nicht müde, Begegnungen mit unbekannteren Werken zu ermöglichen, etwa mit Komponisten jüdischen Glaubens. Er hat einen großen Anteil daran, dass das Verständnis für die jüdische Religion in Potsdam gewachsen ist.

Zu dem Verein Musik an der Erlöserkirche e.V. gehören ein Kinder- und Jugendchor, und auch der Neue Kammerchor, die Seniorenkantorei sowie das Neue Kammerorchester. Mit 60 Jahren ist die Kantorei also bestens aufgestellt, um ihre musikalische Leuchtkraft für die Stadt und darüber hinaus weiter zu bewahren. Mit Stimme, Herz und Geist.

nbsp;Klaus Büstrin

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