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Kultur: Mit der Holga durch die Mark

Der Biologe und Fotograf Ralph Gräf zeigt schwarz-weiße Analogfotografien über das Verschwinden

Die Fotos hinterlassen ein leichtes Frösteln. Eisiger Wind scheint über die Felder und um die leer stehenden Häuser zu fegen. Ausgestorbene Straßen – wie aus einer anderen Welt. Doch die Aufnahmen stammen alle aus dem Hier und Heute, aus dem Land Brandenburg. Sie zeigen in ästhetischer Zuspitzung Orts- und Landschaftsporträts der vergangenen zwei Jahre. Die melancholisch gefärbten Schwarzweiß-Bilder von Ralph Gräf, die in einer kleinen Ausstellung bis Mitte März in der „Saba-Caffe-Bar“ in der Hebbelstraße 51 zu sehen sind, entstanden zwischen Friesack und Sperenberg, Schmergow und Luckenwalde und erzählen vom Verschwinden.

„Mit der Holga durch die Mark“ hat sie der aus Bayern kommende Hobby-Fotograf überschrieben, der seit fünf Jahren als Professor der Zellbiologie mit Studenten der Potsdamer Universität Grundlagenforschung betreibt.

Doch wer ist Holga? Der Professor, der in schwarzer Outdoor-Jacke, die Fahrradspange noch um die Jeans geklemmt, in die Ausstellung kommt, muss lächeln. Für Fotografen scheint „die Holga“ so etwas zu sein wie die Schreibmaschine für Journalisten. Allerdings ein noch lebender Dinosaurier. „Die Holga ist eine Analogkamera, weit entfernt von Spiegelreflex und digitalen Raffinessen. Dieses billige Ding aus China für 35 Euro mit schlechtem Plastikobjektiv ist dennoch Kult. Sie schafft es zwar nur, die Mitte scharf einzufangen und lässt die Ecken ausgefranst und dunkel erscheinen. Doch gerade das vermittelt ein verträumtes Ambiente“, so der Naturwissenschaftler mit den fransigen Locken.

Es war dieses Zerfallene, das ihn für seine Serie interessierte und das er aus seiner bayrischen Heimat nicht kennt, wo alles so ordentlich geputzt ist. „Aber auch in Brandenburg wird es mal so aussehen, und das ist sicher gut so. Es darf keinen Stillstand geben. Denn entweder die Häuser verfallen oder sie werden saniert“, sagt Gräf, obwohl er gerade das Temporäre, diese Übergangszeit so reizvoll findet. „In Potsdam sehe ich kaum noch Fotomotive. So ging es mir früher auch in München, wo ich 20 Jahre gelebt habe.“ Wenn er jedoch durch eine Stadt wie Friesack geht, spürt er, dass dieser Ort schon bessere Tage gesehen hat. „Es ist schwer für mich, etwas über die Entwicklung zu sagen. Ich habe hier nicht gelebt.“ Aber vielleicht ist es gerade der ungetrübte Blick des „Außenseiters“, der diese gedrückte Atmosphäre so unverstellt wahrnimmt.

Es ist aber nicht nur das Morbide leer gezogener Häuser, das auf seinen Fineart-Drucken gefangen nimmt. Ralph Gräf hat auch den Blick für ungewöhnliche Perspektiven, für witzig anmutende Details. Da stehen zwei verspielt geformte Gartenstühle aus Metall auf einer Treppe direkt vor einer weiß lackierten Haustür. Auf der prangt ein großes Ausrufezeichen. Wer wird hier je gesessen haben – auf diesem verlorenen Posten des inzwischen abgerissenen Hauses? Das Foto wirkt wie eine verschlüsselte Botschaft. Dann wieder gibt es die „Straße nach Nirgendwo“, das schlichte Foto einer Brache aus der Lieberoser Heide, der Brandenburger Wüste. „Was beim flüchtigen Hinschauen vielleicht übel aussieht, ist für organismische Biologen hochinteressant“, sagt Ralph Gräf.

Er selbst lässt den Biologen zu Hause, wenn er nach 50 Stunden hochkonzentrierter Forschung und Lehre am Wochenende in der Mark als Stimmungsfänger herumstreift und die herbe Schönheit in seine Foto-Quadrate einpasst: mit dem gewollt „schlechten“ Plastikobjektiv, kombiniert mit grobkörnigen Schwarzweiß-Filmen und altmodischen Entwicklern, die er in der Dunkelheit seines Bades einsetzt.

Ralph Gräf fotografiert aber durchaus auch digital und gewann damit den ersten Preis der Kunstallee 2011. In seiner Preisträgerausstellung in der Galerie „Albert Baake“ wurden immerhin zwei seiner Arbeiten verkauft. „Natürlich habe ich mich gebauchpinselt gefühlt.“ Es sei eher selten, dass seine Fotos Käufer finden. Aber er erwartet es auch nicht unbedingt. Es sei eher der ideelle Wert, der ihn an seinem Hobby interessiere, der kreative Ausgleich zur Wissenschaft.

Die rege Fotoszene in Potsdam stimulierte den umtriebigen Biologen mit dem Dreitagebart jedenfalls sehr, auch die künstlerische Richtung einzuschlagen. Davon erzählt die konzeptionell angelegte Serie „Auf Reisen“, in der er sich selbst mit einem alten Koffer in der Hand auf stillgelegten Eisenbahnanlagen als Statist in Szene setzte. Oder die Serie „Unterwegs“ mit Uta Schönknecht. Ausgestellt waren diese verträumten weichgezeichneten Aufnahmen im Automobil-Center am Stern, im Bürgerhaus am Schlaatz oder im Galerie Café Matschke. „Nichts Großes“, sagt er, aber immerhin gab es neben dem Potsdamer Kunstpreis bei der Kunstallee auch andere Anerkennungen auf Fotowettbewerben.

Das genaue Hingucken hat den Biologen, der sich mit 16 Jahren vom ersten selbstverdienten Ferienjobgeld eine Spiegelreflexkamera kaufte, nicht nur beruflich weitergebracht. Der analytische Blick durchs Mikroskop hat offensichtlich auch seinen Blick für die Außenwelt geschärft. Und der wird sich wohl künftig weiter auf Potsdams Umgebung richten. „Mit 46 Jahren bin ich kaum noch auf eine andere Professur zu berufen. Außerdem gefällt es mir hier. Die Arbeitsbedingungen und die Ausstattung für Forschung sind wirklich gut. Und dass es an Personal für die Studentenausbildung fehlt, ist ein bundesweites Problem“, so der in Golm lehrende Professor.

Vor allem aber mag er den Landstrich. Und mit seiner schwarz-silbernen Holga, die er mit Klebestreifen zusammenhält, wird er wohl ganz urtümlich noch öfter die Streusandbüchse ablichten. Effekthascherei? Fehl am Platz. „Mit der Holga unterwegs muss man allein seinem Auge vertrauen.“

Saba Caffe Bar, Hebbelstraße 51, montags bis samstags, 8 bis 19 Uhr, sonntags, 10 bis 19 Uhr, bis Mitte März

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