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Sven Stricker.

© Sebastian Gabsch

"Mensch, Rüdiger" vom Potsdamer Autor Sven Stricker: Skurrile Selbstsucher

Der Potsdamer Autor Sven Stricker hat sich mit seinem neuen Roman „Mensch, Rüdiger!“ das erste Mal vom Krimisujet entfernt. Er überzeugt mit alltäglichen Beobachtungen sowie liebevoll gezeichneten Charakteren.

Von Sarah Kugler

Oft ist es nur ein Moment. Nur ein winziger Augenblick, ein kleines Detail, das darüber entscheidet, ob ein fiktionaler Charakter gefällt oder nicht. Ob es wert ist, ihm über mehrere Hundert Seiten zu folgen, seine Geschichte beim Lesen mitzieht oder nicht. Dabei ist es meist egal, ob die Figur sympathisch oder unsympathisch ist – oder vielleicht auch irgendetwas dazwischen. Nur interessant muss sie sein.

Rüdiger aus dem Roman „Mensch, Rüdiger!“ des Potsdamer Autors Sven Stricker, der am heutigen Freitag im Rowohlt Taschenbuch Verlag erscheint, ist so eine Figur. Eine interessante. Zumindest auf dem Papier. Im wahren Leben erschiene er auf den ersten Blick eher fad: Punktgenau 40 Jahre alt, seit Jahren eher zufrieden als glücklich verheiratet, Lehrer aus finanziellem Sicherheitsbedürfnis, unscheinbares Äußeres. 

Stricker zeigt, statt zu beschreiben

Zu seinen beiden Kindern hat er scheinbar kaum ein Verhältnis, seinen Job hasst er, weswegen er gleich zu Beginn der Geschichte kurzerhand seine Klasse sitzen lässt und nach Hause zurückkehrt. Dort findet er seine Frau mit einem anderen im Bett. Eine Szene, wie sie schon oft vorgekommen ist, erwartungsgemäß gäbe es jetzt Wutanfälle, Geschrei, fliegende Gegenstände. Nicht so bei Rüdiger. Er steht da, mit hängenden Schultern, spricht weiterhin ganz ruhig mit seiner Frau sowie deren Geliebtem. Klärt die Fakten rund um den Ehebruch seiner Frau und zieht am Ende einfach wieder die Schlafzimmertür hinter sich zu. 

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Stricker schafft es, in dieser einen Szene den Charakter Rüdigers zu zeichnen, ohne ihn zu beschreiben. Er zeigt ihn einfach. Den Außenseiter, den Feigling, den, der sich selbst schon aufgegeben hat. In Bildern, die sich beinahe cineastisch beim Lesen aufbauen und das Bedürfnis wecken, diesen Schluck Mensch einfach in den Arm zu nehmen. Nicht nur aus Mitleid. Sondern auch aus dem Bedürfnis heraus, ihn aufzurütteln, zu sagen: „Jetzt mach doch verdammt noch mal was!“

Zwei, die sich finden

Und das macht Rüdiger ja dann auch – beziehungsweise macht es nicht. Sein eigentliches Vorhaben, von einer Brücke zu springen, ist beendet, als er dort Tom neben sich sitzen sieht, der mit dem gleichen Gedanken spielt. Tom ist ein ähnlich gescheiterter Charakter. Mit seinem ersten Roman hatte er großen Erfolg, dann kam die Schreibblockade. Jetzt arbeitet er in einem Supermarkt an der Kasse, sieht in seinem Leben keinen Sinn mehr und möchte es deswegen beenden. Auf der gleichen Brücke wie Rüdiger. 

Die nächste skurrile Situation also, in der Stricker wiederholt sein Talent für Situationskomik unter Beweis stellt. Und für flotte, exzellent getimte Dialoge. Sehr nahe am Leben sind die, nicht literarisch überhöht, eher wie Gedankenfetzen. So wie Toms und Rüdigers Diskussion über Fallgeschwindigkeit und Aufprallschmerzen, die schließlich mit einem Pakt endet: Eine Woche haben die beiden Zeit, das Leben doch noch als lebenswert zu empfinden. Ansonsten treffen sie sich auf der Brücke wieder.

Der erste Nicht-Krimi von Stricker

Den nun folgenden Selbstfindungstrip erzählt Stricker, der mit „Mensch, Rüdiger!“ erstmals keinen Krimi geschrieben hat, angenehm unaufgeregt. Keine Reisen an erhellende Orte, keine alles rettende große Liebe, keine Roadtripromantik. Einfach nur zwei Männer, die versuchen, ihr wackeliges Leben zu stabilisieren. Teilweise nur mit Streichhölzern und immer liebenswert ungelenk. Vor allem liebenswert. 

Denn das sind Strickers Figuren beide. Nicht unbedingt sympathisch, manchmal sogar das Gegenteil. Aber sie wecken das Bedürfnis, wissen zu wollen, wo sie hingehen. Was das Leben zweien zu geben hat, die selbst eher wenig geben. Die sich irgendwie in ihren eigenen Gewohnheiten verzettelt haben und weder an sich selbst noch an ihre Mitmenschen glauben. 

Herrliche Alltagsbeobachtungen

Der Weg zur Selbstliebe ist dabei gespickt mit witzigen Alltagsbeobachtungen und Gedankenreisen, die Stricker in seiner klaren Sprache in schnellem Tempo aneinanderreiht. Etwa wenn er ein junges Pärchen im Café beschreibt, dessen erstes Date ernüchternd endet. Oder wenn Rüdiger sich mit einer Stripperin über die korrekte Übersetzung ihres Künstlernamens „Candy“ streitet. Solche Momente sind es, die „Mensch, Rüdiger!“ zu einem skurrilen Kleinod der Unterhaltungsliteratur machen – und seine Protagonisten zu liebgewonnenen Freunden. 

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— Sven Stricker: Mensch, Rüdiger!

Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2017, Reinbek bei Hamburg, 415 Seiten, 9,99 Euro.

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