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Alfred Brendel begeisterte in Konzerthäusern in der ganzen Welt. Am Wochenende sprach er bei der Potsdamer „Schubertiade“.

© K. White/Reuters

Meisterpianist Alfred Brendel zu Gast in Potsdam: Der Entdecker des Fiebers in der Musik

Zur Eröffnung der Schubertiade sprach der Meisterpianist Alfred Brendel im Palais Lichtenau. 

Potsdam - In einem Gedicht erzählte Alfred Brendel einmal von einem Pianisten mit einem imaginären dritten Zeigefinger, den er dazu nutzt, um schwierige Passagen anzukündigen oder unliebsame Huster zu tadeln. Ihm selber reichten stets zehn Finger aus, um Zuhörer in aller Welt mit seinem Klavierspiel in eine andere Welt zu versetzen. Wenn es um Brendels Kunst ging, fiel häufiger das von Robert Schumann stammende Wort „Gefühlsdeutlichkeit“. Doch selbst der Erzromantiker Schumann verschmähte die drei letzten Klaviersonaten von Franz Schubert. Anders als Alfred Brendel, der mit ausdrucksvollen Interpretationen wesentlich zu ihrer Nobilitierung im Konzertsaal beitrug. Auch mit Werken anderer Komponisten aus dem klassischen Kanon brillierte Brendel, der auch dafür bekannt war, dass er seine Finger mit Hansaplast polsterte – ganz so wie eine Ballerina ihre Zehen. Vor zehn Jahren beendete der Meisterpianist seine grandiose Solistenkarriere mit einem bejubelten Konzert in Wien. Zur Ruhe gekommen ist der 87-Jährige aber noch nicht. Das Schreiben von musikalischen Essays und skurril-grotesken Gedichten bezeugen seinen quicklebendigen Geist.

In Potsdam war Brendel umringt von Musik-Kennern

Am Samstagvormittag saß Alfred Brendel auf einem Podest im Potsdamer Palais Lichtenau, dicht umringt von Kennern und Liebhabern der Musik. Zur Eröffnung der Potsdamer Schubertiade sprach Brendel über den Komponisten, dessen Klavierwerk er wie kaum ein Zweiter kennt. Über 1000 Werke schrieb Schubert, der je nach Epoche als kurios-charmanter Wiener verkitscht oder als todessüchtiger Melancholiker verklärt wurde.

Obwohl in Schuberts letztem Lebensjahr entstanden, hätten die drei letzten Sonaten nichts von „Altersstil“ an sich, erklärt Brendel mit Nachdruck. Vielmehr sei der Aufschrei des Irrationalen in der A-Dur-Sonate das Erschreckendste, was die Musik hervorgebracht habe. Neben heller Zuversicht offenbare sich hier ein tiefster Seelenriss. Ähnlich aufrührerisch sei der düstere Triller zu Beginn der B-Dur-Sonate, der nichts Dekoratives mehr an sich hat, sondern eine dritte Dimension öffnet. Zum hellsichtigen, innerste Herzenskammern öffnenden Andante geselle sich ein fröhliches Finale mit einem Ausdruck zwischen gutherzigem Humor à la Jean Paul und dem Wienerischen Motto: „Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.“

Bei seinen eigenen Werken tanzen Brendels Finger

Zur allgemeinen Freude gibt Brendel immer wieder Musikbeispiele am Flügel, geläufig und kraftvoll. Nur die furiosen Anfangsakkorde der c-Moll-Sonate, der „sprödesten und neurotischsten“ von allen dreien, lässt er von der Pianistin Imogen Cooper spielen, die freundlicherweise „seinen arthritischen Fingern zu Hilfe eilt“. Wenn eigene Aufnahmen im Saal eingespielt werden, tanzen Brendels Finger auf dem Knie mit – der Mann wirkt dann wie versunken in seiner eigenen Welt.

Für ihn gehört Schubert in die illustre Reihe der Wiener, die an ihrer Stadt leiden. Dass er sich selbst auch dazu rechnet, darf man wohl unterstellen. In den fünfziger und sechziger Jahren erregte Brendel im Wiener Musikverein noch weniger mit seinem Klavierspiel als mit kuriosen Aktionen wie dem Ausführen einer Schildkröte an einem Seidenband die Gemüter. Erst nach einem Umzug nach London, wo er heute noch wohnt, startete seine Karriere kometenhaft.

Dass er nun nach Potsdam gekommen ist, ist das Verdienst von Alexander Untschis hartnäckiger Liebenswürdigkeit. Sie kannten sich nicht, fanden aber über viele Mails und der gemeinsamen Verehrung der Pianisten Edwin Fischer und Wilhelm Kempff sowie von Franz Schubert zusammen. Ein ganzes Wochenende erklingen nun einige von Schuberts unsterblichen Werken im Palais Lichtenau.

Die Arpeggione-Sonate wird forsch und durchdringend gespielt

Den Anfang machen Timothy Park (Violoncello) und Mario Häring (Klavier), mit der Arpeggione-Sonate. Sie spielen dieses heitere, melodisch schwelgende Werk forsch, souverän und durchdringend – so als seien sie auf einer großen Bühne und nicht in einem intimen Festsaal. Ein ganz oder auch nur halb geschlossener Flügel hätte auch dem Trio Es-Dur opus 100 gut getan. Dieses ebenfalls im Todesjahr 1828 entstandene Werk ging „wie eine zürnende Himmelserscheinung über das Musiktreiben hinweg“, schrieb Robert Schumann trefflich. Auch heute faszinieren noch seine soghaften Klänge. Im grandios entrückten und zupackenden Spiel von Hagen Schwarzrock (Klavier), Mihaela Martin (Violine), und Timothy Park (Cello), zeigt sich einmal mehr, dass Schubert der „Entdecker des Fiebers in der Musik ist“ und sich bei ihm „nicht der Himmel, sondern das Bewusstsein umwolkt“. Da mag man Alfred Brendel zustimmen, der mit leichtem Granteln erklärt: „Dass Schubert in seiner letzten Lebenszeit noch so gut komponieren konnte, sollte uns freuen, aber nicht der Zynismus des Schicksals, dass er im Alter von 31 Jahren sterben musste.“

Babette Kaiserkern

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