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Kultur: „Mein Ruin ist mein Bereich“ Der letzte Havel Slam 2017 im Waschhaus

Bevor am Mittwochabend im vollbesetzten Waschhaus die ersten Poeten auftreten, bekommt das Publikum erste einmal Beifalltraining. Die Moderatoren Temye Tesfu und Robin Isenberg rufen auf, den eigenen Emotionen in Form von Füßetrampeln, Schreien und lautem Applaudieren freien Lauf zu lassen.

Bevor am Mittwochabend im vollbesetzten Waschhaus die ersten Poeten auftreten, bekommt das Publikum erste einmal Beifalltraining. Die Moderatoren Temye Tesfu und Robin Isenberg rufen auf, den eigenen Emotionen in Form von Füßetrampeln, Schreien und lautem Applaudieren freien Lauf zu lassen. Dann tritt der Der Kolibri hinter das Mikrofon und eröffnet den Havel Slam – den letzten des Jahres. Zu eingängigen Beats stimmt der Rapper musikalisch auf den Abend ein, im Gepäck eine Auswahl eigener Texte, teils melancholisch, teils provokant erzählte persönliche Geschichten.

Vom rhythmischen Sprechgesang rückt dann der Fokus auf die Sprache. Um die geht es bei Poetry Slams, und also auch hier. Fünf Minuten hat haben die Teilnehmer, um die Zuhörer in ihren Bann zu ziehen. Einziges Instrument: die Stimme. Der erste Wortakrobat des Abends heißt Alex Wolf. Mit präziser Beobachtungsgabe schildert er eine nächtliche Begebenheit in der Berliner U-Bahn, zwischen Oberflächlichkeit und Tiefgang sucht er seinen eigenen Weg, fordert zu Träumereien auf. Ebenfalls gegen durchschnittliche Normalität wetternd führt anschließend Paul Einbecker ein Streitgespräch im Auto über die Freiheit, falsche Entscheidungen treffen zu dürfen. Einige Aussagen werden vom Publikum jubelnd aufgenommen: „Mein Ruin ist mein Bereich“.

Daria Gabriel schöpft mit ausgeklügelten Wortspielen und Metaphern sprachlich aus dem Vollen. Starken Gefühlen nähert sich durch Personifikationen – und lässt die rhetorisch aufgebaute Spannung mit dem Verweis auf eine mögliche Fortsetzung am Ende in der Schwebe. Ebenso abrupt endet auch Erik Leichters sarkastisch derbe Dramaturgie der Leidenschaft: Mit seiner Beschreibung des Sexualakts in drei Akten hat er die Lacher auf seiner Seite. Am Finale schlittert er damit trotzdem knapp vorbei.

Dort treffen Yusuf Rieger und Marvin Weinstein aufeinander, die die meisten Punkte der zuvor ausgewählten Jury abstauben konnten. Während Rieger im „Gespräch mit einem Vorurteil“ einen „Stereotyp-Türken“ imitiert, schwillt seine Stimme an, geht dann in Flüstern über, beschleunigt und entschleunigt sich. Weinstein leitet seine Abrechnung mit dem Jahr 2017 mit einem Silvestercountdown ein und schließt mit der Hoffnung, die Menschen mögen im kommenden Jahr aktiver an ihren eigenen Geschichten schreiben. Fremdbestimmung, Freiheit, Selbstverwirklichung, das waren die Themen dieses mit Ironie gespickten Abends. Am Schluss verlassen nicht nur zwei Sieger das Waschhaus, sondern auch ein nachdenklich gestimmtes Publikum. Rebekka Gottl

Rebekka Gottl

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