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Flucht in die Schattenwelt. Auch davon erzählt „Mein Leben ohne mich“.

© YO

Kultur: Mein Leben ohne mich

Die Jugendtheatergruppe „Die Spielwütigen“ mit ihrer ersten Premiere im Treffpunkt Freizeit

Es war wie immer bei den Premieren mit Theatergruppen von Yasmina Ouakidi. Auch in ihrem neuen Quartier im Treffpunkt Freizeit stehen ausschließlich Jugendliche auf der Bühne und sitzen in der Mehrzahl im Publikum. Kein Wunder, denn die umtriebige Theaterpädagogin und Regisseurin, die bis vor einem Jahr im T-Werk zu Hause war, versteht es, das Alltags- und Seelenleben Jugendlicher in pointierte Texte zu fassen und kraftvoll auf die Bühne zu bringen. Auch diesmal, in der collageartigen Inszenierung „Mein Leben ohne mich“, die am Donnerstagabend zur Premiere kam.

Die Geschichte um die 17-jährige Joana hat außer dem Titel nicht viel gemeinsam mit dem gleichnamigen Film der Spanierin Isabel Coixet, in dem eine krebskranke Frau kurz vor ihrem Tod die Zukunft ihrer Kleinfamilie in die gewünschten Bahnen zu lenken versucht. Doch eines verbindet die beiden Hauptheldinnen – ihre Nähe zum Tod. Aber Joana in Ouakidis Spielvorlage ist meilenweit davon entfernt, wirklich sterben zu müssen. Oder etwa doch nicht? Denn bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist Suizid nach (Verkehrs-)Unfällen immer noch die zweithäufigste Todesursache.

Joana ( Dominique Bergemann ) hat regelmäßig dunkle Gedanken, genauso wie ihre Freundin Marcella (Fiona Uhlig), die oft scheinbar unpassend und einigermaßen hysterisch „Ich sterbe“ ausruft. Doch noch sind beide auf ganz unterschiedliche Art in der sogenannten „Lichtwelt“ zu Hause. Aber Joana, die anfangs nichts davon ahnt, wird bereits von einer Agentin aus der sogenannten „Schattenwelt“ (Masha Kauric) mit ausdauerndem Jagdinstinkt verfolgt. Und beinahe macht sie den finalen Schritt. Als ihr nach der einzigen Freundin auch noch der Job und der beste Kumpel verloren gehen, fühlt sich ihr Leben ziemlich sinnentleert an. Von den gestörten Beziehungen zu den eigenen Eltern ganz zu schweigen.

Das wird nicht linear und mit düsterem Gestus erzählt, sondern Ouakidi hat eine collagierte Spielvorlage mit vielen kurzen Szenen in Echtzeit oder auch als „Kino im Kopf“ geschaffen, die durch Videoeinspielungen, Schattenspielsequenzen und Musik komplettiert wird. Die Hauptrolle spielt eine ungemein starke und wandlungsfähige Dominique Bergemann, der man die pampige Mainstreamverweigerin genauso abnimmt wie die sensible Tochter oder tiefsinnige Filmliebhaberin.

Ihre Gegenspielerinnen, vor allem ihre esoterische Mutter (Emma Charlott Ulrich), die hysterische Mädchenclique und der Richterchor (Fiona Uhlig, Leonie Donath, Helen Bauer, Helene Lehmann) sind stark überzeichnet und als Kontrast passend, nur sieht man bei ihnen spielerisch leider nicht so viel wie bei der Hauptfigur. Die hat auch im Spiel schöne Momente mit der Schattenagentin (Masha Kauric), die eine beinahe innige Beziehung zu ihrem Opfer entwickelt und – einer der berührendsten Momente – das dunkle Geheimnis von Joanas Mutter enthüllt.

Hier schafft die Inszenierung wie auch an anderen Stellen den Spagat, für einen kurzen Moment zu berühren ohne sich bei den Jugendlichen – auf der Bühne wie im Publikum – anzubiedern. Das gelingt auch sprachlich und indem Ouakidi den Jugendlichen ihnen deutlich mehr Raum lässt, sich auf unterschiedlichen Ebenen der Produktion selbst einzubringen. Am augenscheinlichsten wurde das bei Michel Wagenschütz, der sowohl als Videothekenbesitzer Anton als auch souverän an der Technik agierte. Ein hoffnungsvoller (Neu-)Anfang also im Treffpunkt Freizeit, der von den jugendlichen Besuchern umjubelt wurde. Astrid Priebs-Tröger

Wieder am 27. und 28. Juni, 11 Uhr, im Treffpunkt Freizeit, Am Neuen Garten 64

Astrid Priebs-Tröger

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