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Kultur: Mehr Drohung als Schmeichelei Andreas Gehrkes Bildband „Brandenburg“

„Stilles Land“ heißt ein Film von Andreas Dresen von 1992. Ein Film, der in Anklam spielt und die Geschichte einer Theatertruppe einfängt, die kurz vor der Wende „Warten auf Godot“ probt.

„Stilles Land“ heißt ein Film von Andreas Dresen von 1992. Ein Film, der in Anklam spielt und die Geschichte einer Theatertruppe einfängt, die kurz vor der Wende „Warten auf Godot“ probt. Es hätte auch der Titel des Bildbandes sein können, den der Berliner Fotograf Andreas Gehrke jetzt vorgelegt hat – unter dem schlichten Namen „Brandenburg“.

Brandenburg, das zeigt Andreas Gehrke hier auf rund 140 Seiten, ist für ihn eine schweigende Landschaft. Zeitlos, menschenleer, karg, verschlossen. Eine Tür ohne Klinke, verrammelte Tore, vor denen sich Autospuren durch den Schlamm ziehen, Zäune, Mauern – und immer wieder: abblätternder Putz. Dass hier Menschen auch leben, und nicht nur vor langer Zeit zivilisatorische Spuren in Form von Häusern und Strommasten hinterlassen haben, ist nur auf wenigen Bildern zu ahnen: ein paar Liegestühle auf einer winterlichen Rasenfläche, Graffitis an einer Wand, ausgelagerte Matratzen auf einem Dachboden, gepflegte Geranien auf einem Balkon. Menschen sind nur in ihrer Abwesenheit vorhanden – und vermutlich auch hinter den Gardinen des Neubaus in Schwedt, hinter dem Fenstergitter in Deutsch Bork. Verrammelt, trist, still: Ist das Brandenburg? Wohl nicht nur.

Was Gehrke bei seinem sechs Jahre dauernden Fotoprojekt im Sinn hatte, ist im Nachwort zu lesen, einem Essay des 2003 verstorbenen Soziologen Lucius Burckhardt zu Landschaftsdarstellungen. Diese nämlich, von Vergil bis hin zu den idealistischen Landschaftsmalern, prägen unser noch heute gültiges Bild dessen, was eine schöne Landschaft gemeinhin so ausmacht, so Burckhardt. Brandenburgs spröde Weite gehört bekanntlich nicht dazu. Zu Unrecht, halten einige von Gehrkes Naturaufnahmen dagegen: ein verwunschenes Ende der Spree bei Neu-Zittau, eine Allee bei Herzfelde, das Flussbett der Oder bei Frankfurt, eine Uferböschung bei Kyritz, das ist das wenn schon nicht betörende, doch wenigstens einladende Gesicht Brandenburgs. Es zeigt sich nur da, wo der Mensch sich mit dem Spurenlegen zurückgehalten hat.

„An sich ist die Umgebung Berlins sehr schön“, wird der Kunstkritiker Karl Scheffler zitiert. Ein herber, fast japanischer Reiz gehe von ihr aus – der aber „mehr droht als schmeichelt“. Das ist tatsächlich auch der Eindruck, den Gehrkes Buch vermittelt. Einerseits satt-grüne Wiesen, weite Himmel, idyllische Gewässer – andererseits bedrohlich bröckelnde Fassaden und feindselig verschlossene Fensterläden. Das ist Brandenburg für Gehrke. Ein Land, das auf etwas Unbestimmtes zu warten scheint, wie Becketts Figuren auf ihren Godot. L. Schneider

Andreas Gehrke. Brandenburg.

Drittel Books, Berlin 2017. 160 Seiten,

80 Abbildungen,

48 Euro.

L. Schneider

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