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"Matthäus-Passion" in Potsdam: Musizieren in protestantischer Gradlinigkeit

Bachs „Matthäus-Passion“ eröffnete die Ostertage in der Nikolaikirche mit anmutigen Arien.

Potsdam - Damals, am Karfreitag anno 1729, ist das Publikum bei der Uraufführung von Johann Sebastian Bachs „Matthäus-Passion“ in der Leipziger Thomaskirche wohl ein wenig müde geworden. Dreieinhalb Stunden intensives Zuhören über die Leidensgeschichte des Jesus von Nazareth strengt an. Selbst wenn die verinnerlichten Betrachtungen immer wieder durch dramatische Vorgänge unterbrochen werden. Auch anno 2018 passt es auf den Sterbetag genau, den Sinngehalt dieses opernhaften Dramas mit spiritueller Hingabe auszudrücken.

Um all diese vielschichtigen menschlichen Emotionen und Probleme wie Liebe, Hass, Angst, Verrat, Massenmanipulation und -hysterie weiß Nikolaikantor Björn O. Wiede bestens Bescheid. Und so gelingt es ihm durch seine kammermusikalisch inspirierte Lesart, des Werkes innere Dramatik beim Eröffnungskonzert der Osterfesttage in der Nikolaikirche zur Geltung zu bringen. Sie ist tempozügig aufs Wesentliche konzentriert, kontrastbetont, strukturerhellend, von Klarheit und protestantischer Gradlinigkeit geprägt.

„Sind Blitze, sind Donner“

Entsprechend der doppelchörig angelegten Musik, sitzen auch diesmal wieder zwei Instrumentalgruppen gegenüber, die sich „Exxential Bach“ nennen und der historisch informierten Aufführungspraxis huldigen. Sie sorgen für einen spannungsreichen, vibratolosen und geschärften, affektversierten, mitunter leicht diffusen Klang. Zahlreiche solistische Zutaten (Gambe, Block- und Traversflöte, Violine, Oboe, Fagott) umspielen die Arien voller Anmut. Dabei firmieren sie als „Coro I“ und „Coro II“, denen jeweils vier Sänger zugeordnet sind, die neben ihren anspruchsvollen Soloaufgaben nun auch als Doppelquartett für chorische Obliegenheiten zuständig sind. Mehr Einsparung geht nicht.

Doch weshalb diese Reduktionsdiät? Wiede setzt dabei auf Ansichten englischer Musikwissenschaftler, die einen Sänger pro Stimmgattung für authentisch halten. Naja, an dieser steilen These wird man ja wohl noch zweifeln dürfen, oder? Der Eingangschor „Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen“ kommt über eine eher asketische Wirkung nicht hinaus. Und auch die weiteren andächtigen Bekenntnischoräle und aufwühlenden Turbae-Chöre („Sind Blitze, sind Donner“), die Volkes Stimme vertreten, büßen durch ihr dürftiges Volumen viel an erforderlicher Durchschlagskraft ein.

Begeisterter Beifall am Ende des Konzerts

Durch eine starke Erkältung ist der Tenor Maximilian Kerner stimmlich arg gehandicapt, aber dennoch bereit, den anspruchsvollen Part des Evangelisten als Chronist des Geschehens vorzutragen. Die Aufführung ist gerettet, Hochachtung! Ebenfalls mit Erkältung angesagt ist Altus Matthias Lucht, der kurzfristig für seinen erkrankten Kollegen Tobias Hechler eingesprungen ist und mit verinnerlichter, seelenerwärmender Ausdrucksstärke überzeugt. Heller und beweglicher tönt Altus-Pendant Moritz von Cube.

Auch die Parts der anderen Stimmen sind gesplittet, wobei der instrumental geführte, scharf klingende Sopran (Kerstin Dietl) seine beseelte Beiordnung (Anne Schneider) findet. An Arienmangel kann sich der tiefensatte Bassist Marcel Raschke nicht beklagen. Dafür gibt es mit Maximilian Krummen einen sehr menschlichen, mit bassbaritonalem Wohllaut ausgestatteten Jesus. Auch er ein Vertreter des schlichten Vortrags, dem jegliche salbadernde Seelenergüsse fremd sind. Für die Rezitativeinwürfe der diversen Stichwortgeber von Pilatus über Judas bis Petrus ist der auch cembalierende Björn O. Wiede zuständig. Begeisterter Beifall nach drei ermüdungsfreien Stunden. 

Peter Buske

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