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Martin Sonneborn zu Gast im Thalia-Kino.

© Manfred Thomas

Martin Sonneborn zu Gast im Thalia: Die Dreckecken ausleuchten

Der ehemalige Chefredakteur des Satiremagazins Titanic Martin Sonneborn stach im Thalia-Kino mit spitzen Worten in die Wunden der Gesellschaft – und betrieb Wahlkampf für Die Partei.

Potsdam - Im Foyer des Thalia Kinos haben Frauen und Männer in grauen Anzügen einen Stand aufgebaut. Sie verteilen Kugelschreiber, Aufkleber und Flyer, während sie die hastig Zugreifenden dazu auffordern, in die Partei Die Partei einzutreten. Im ausverkauften Kinosaal 1 führt ihr Vorsitzender, der in Göttingen geborene Martin Sonneborn, 53 Jahre, ehemaliger Chefredakteur des Satiremagazins Titanic und derzeitiges Mitglied des Europäischen Parlaments, den Soundcheck durch. Als alles geprüft ist, verschwindet er. Auf der Leinwand wechseln sich Bilder von Sonneborn im EU-Parlament mit Wahlplakaten der Partei und Covern der Titanic ab. Zurück auf der Bühne begrüßt er das Publikum: „Herzlich willkommen, hier in Dings.“

In den folgenden drei Stunden erzählt Sonneborn die Geschichte seiner Partei. Er zeigt Wahlplakate, auf denen „Inhalte überwinden!“, „Hier könnte ein Nazi hängen“ oder „Für Feminismus, ihr Fotzen“ steht. Gerade das letzte Plakat, erläutert Sonneborn, war in seiner Partei nicht unumstritten – man war sich uneins, ob das Wort „Fotzen“ mit V oder mit F zu schreiben sei. Sonneborn inszeniert sich bei all dem als diktatorischer Führer seiner Partei, lässt sich „GröVaZ - Größter Vorsitzender aller Zeiten“ nennen und zeigt Fotos von seinem Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse: Verkleidet als Stauffenberg wollte er einen Lederkoffer – darin eigenen Angaben zufolge ein Apfel, ein Ei und eine Butterstulle – neben den Tisch von AfD-Politiker Björn Höcke stellen.

Ein Humanist alter Schule

Dabei geht es ihm aber nicht - zumindest nicht ausschließlich - um platte Provokationen. Hinter der satirischen Fassade verbirgt sich ein Humanist alter Schule, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die toten, die staubigen, die verkrusteten Winkel und Dreckecken des deutschen wie auch des europäischen Politikbetriebs auszuleuchten. Die Ergebnisse dieser Expeditionen ins Zwielicht präsentiert er dann nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern performativ, indem er sie radikalisiert und sie in die eigene Praxis überführend ausstellt: Es geht ihm darum, Öffentlichkeit herzustellen.

So berichtet er beispielsweise larmoyant von einer Lücke im – inzwischen abgeänderten – deutschen Gesetz zur Parteienfinanzierung, die vor allem von der AfD (aus)genutzt wurde. Sie erlaubte es den Parteien, für jeden eingeworbenen Euro einen weiteren von der staatlichen Parteienfinanzierung zu bekommen – es zählte der Umsatz, nicht der Gewinn. Die AfD verkaufte damals Gold, machte dabei kaum Gewinne, ließ sich den Betrag jedoch anschließend vom Staat verdoppeln. Sonneborn, der an Perfidität anderen „unseriösen Kleinstparteien“ in nichts nachstehen wollte, entschied, dass seine Partei 100-Euro-Scheine anfänglich zum Preis von 105 Euro und später zum Preis von 80 Euro verkaufen solle. Sonneborn lacht: „Eine Win-Win-Situation. Die Käufer bekamen 100 Euro für 80 Euro und Die Partei erhielt weitere 80 Euro vom deutschen Staat, wir machten also 60 Euro Gewinn.“

 Martin Sonneborn und seine Partei Die Partei. 
 Martin Sonneborn und seine Partei Die Partei. 

© Manfred Thomas

Wie auch bei den Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit oder denen des Moderators Jan Böhmermann interessiert bei all dem vor allem eines nicht: die Frage danach, was Satire darf. Vielmehr geht es um die radikale Sichtbarmachung tatsächlicher Umstände und deren Kritik mittels Zuspitzung und Übertreibung, denn das Material für all diese Interventionen liefert die Wirklichkeit selbst.

Christoph H. Winter

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