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Zwei Potsdamer Köpfe: Der Bildhauer Marcus Golter (links) und der Maler Martin Mehlitz haben beide Andrea Lütkewitz porträtiert.

© Andreas Klaer

Martin Mehlitz und Marcus Golter porträtieren Potsdam: Kunst mit Köpfchen

Was ist eine Stadt anderes als die Summe derer, die in ihr wohnen? Die Künstler Martin Mehlitz und Marcus Golter nutzen den Lockdown für einen gemeinsamen Porträtversuch: „Potsdamer Köpfe“. 

Potsdam - Wie lässt sich Potsdam künstlerisch greifen? Die Künstler Martin Mehlitz und Marcus Golter sagen: über die Köpfe, die diese Stadt prägen. Künstlerisch, wissenschaftlich, gesellschaftlich, im offenen Diskurs oder im verborgenen Alltag. Der Gedanke: Was wäre eine Stadt anderes als die Summe der Menschen, die in ihr leben?

„Potsdamer Köpfe“ heißt das Projekt, in dem die beiden seit etwa einem Jahr ein Stadtportrait versuchen. Marcus Golter als Bildhauer, Martin Mehlitz als Maler. Und weil man unmöglich alle Menschen einer Stadt zeigen kann, wird ausgewählt: zwanzig Porträts sollen es werden.

Ein Querschnitt, zwangsläufig willkürlich, und dennoch so breit gefächert wie möglich. Zwanzig Perspektiven, die idealerweise auch je für eine ganze Gruppe stehen, das ist das Ziel. Der Weg: jeden Menschen in doppelter Form in den Blick nehmen: als Plastik und als Gemälde. 

Marcus Golter beim Arbeiten an der Gipsskulptur von dem Olympiasieger Peter Frenkel.
Marcus Golter beim Arbeiten an der Gipsskulptur von dem Olympiasieger Peter Frenkel.

© Andreas Klaer

Sie arbeiten gemeinsam, aber jeder für sich

Noch vor einem Jahr kannten sich Martin Mehlitz und Marcus Golter kaum, jetzt verbringen sie viel Zeit miteinander. An etwa drei Tagen pro Woche kommt Mehlitz in Golters geräumiges Atelier in der Zeppelinstraße. Dann arbeiten sie, gemeinsam und doch jeder für sich. Mal mit Modell, mal ohne, meist ohne viel zu reden. „Wie sind eher Macher.“ 

Obwohl Mehlitz, der Autodidakt und studierte Sozialwissenschaftler, auch gern seine Arbeit reflektiert – und Golter, der in Halle auf Burg Giebichenstein ab 1991 als erster Westdeutscher Bildhauerei studierte, eher nicht. Gerade darin ergänzen sie sich bei Porträtsitzungen gut: Mehlitz, der regelmäßig Malkurse gibt, fällt der Austausch leichter. 

Was sie beide suchen: eine Wahrheit in dem Menschen, der da vor ihnen sitzt. Golter, der Bildhauer, beginnt mit einem Modell aus Ton, danach kommt der Gipsabdruck, ein mehrteiliges, kompliziertes Verfahren. Mehlitz, der Maler, legt einfach los, ohne Skizze, „kamikazemäßig“. Beide aber sagen: Die größte Gefahr ist, zu viel daran zu arbeiten, nicht im richtigen Moment aufzuhören.

Künstler, Gastronomin, Politikerin: Der Stil variiert, ernst sind sie alle

Gut die Hälfte der geplanten Doppelporträts gibt es bereits. Die Künstlerschaft ist gut vertreten: die Künstlerin Anne Eichhorn ist dabei, auch der Maler Detlef Birkholz, von dessen Verbindung zum berühmten Minsk-Architekten Karl-Heinz Birkholz sie erst in der Sitzung erfuhren. 

Die Lyrikerin Andrea Lütkewitz sitzt in Mehlitz’ Ölgemälde theatral auf einer Bühne, in ihrer eigenen Welt. Aber da ist auch der Leichtathlet und Olympiasieger Peter Frenkel, der Soziologe Fritz Reusswig, die SPD-Politikerin Sarah Zalfen, die Gastronomin Lena Mauer

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Oder der Mediziner Martin Sparmann, die Jugendliche Miriam Sauga, eine Familienfreundin von Golter und seiner Frau, der Journalistin Margaret Heckel – und Sabine Schicketanz, Chefredakteurin dieser Zeitung. Der Stil variiert, nur ernst sehen sie alle aus, bei sich. Wer fehlt? „Jemand aus der Wirtschaft“, sagen Golter und Mehlitz. Und vielleicht jemand aus einem Pflegeberuf? 

Potsdamer Köpfe. Marcus Golter hat Büsten von Akteur*innen der Potsdamer Stadtgesellschaft geschaffen.
Potsdamer Köpfe. Marcus Golter hat Büsten von Akteur*innen der Potsdamer Stadtgesellschaft geschaffen.

© Andreas Klaer

Der ideale Tröster in Zeiten des Lockdowns

Auch wenn das Projekt den beiden Künstlern in der Pandemie wie der ideale Tröster vorkommt, um in Zeiten des lähmenden Lockdowns („ein Alptraum“, sagt Golter) nicht der Verzweiflung oder auch nur dem Miesepetertum anheimzufallen: Die Idee für die „Potsdamer Köpfe“ ist älter als die Krise. 

Sie entstand vor knapp einem Jahr bei einer Ausstellung in den Thiede-Werkstätten, wo Martin Mehlitz sein Atelier hat. Dort trafen die beiden aufeinander. Was sie sofort einte: die Lust am Porträt. Das Interesse am Figürlichen. „Unser Gegenstand ist die Liebe zum Menschen“, sagt Martin Mehlitz. Golter nickt.

„Für mich war auch der Zeitpunkt gekommen, mich endlich mal der Stadt zu widmen, in der ich seit zwanzig Jahren lebe“, sagt Marcus Golter, geboren 1966 in Stuttgart. „Zumindest halb lebe.“ Die andere Hälfte verbrachte er, der in Schwaben längst als „Ossi“ gilt, lange in Halle. 

Vom Hallenser Stadtgottesacker zu analogen Selfies

Dort hat er 2018 ein großes Projekt beendet. Seit 1996 arbeitete er am städtischen Friedhof, dem „Stadtgottesacker“. Die Friedhofsarkaden aus dem 16. Jahrhundert bestehen aus 94 Schwibbögen, 27 hatten Kriegsschäden. Golter schuf sie neu. Vor drei Jahren zwang ihn ein Unfall vorübergehend in den Rollstuhl. 

Damals begann Marcus Golter, sich intensiv kleinen, handlichen Skulpturen zu widmen: „analoge Selfies“, nennt er sie. Der Beginn jener intensiven Auseinandersetzung mit Porträts, die noch andauert.

Martin Mehlitz malt bei seinen Porträts sofort los, fertigt aber auch Zeichnungen an. Von Martin Golter zum Beispiel.
Martin Mehlitz malt bei seinen Porträts sofort los, fertigt aber auch Zeichnungen an. Von Martin Golter zum Beispiel.

© Andreas Klaer

Aus Westafrika über Kreuzberg nach Potsdam

Martin Mehlitz, 1965 in Hamburg geboren, hat seine Vorliebe für erdige Farben in Kindheitstagen entwickelt: Er wuchs in Westafrika auf. Schon früh begann er mit der Porträtmalerei, mit dem Mauerfall machte er die Kunst dann zur Hauptsache. Er lebte lange in Berlin-Kreuzberg. Seit 2006 in Potsdam, hauptsächlich der Kinder wegen. 

Über die „Potsdamer Köpfe“ sagt Martin Mehlitz: „Es ist eigentlich ein Projekt der Liebe.“ Zu den Menschen, aber genauer noch zu dieser Sache, die zurzeit seltener, wertvoller ist denn je: direkte Begegnung. Darum geht es im Grunde, das sagen beide. Wenn am Ende wie geplant ein Katalog und irgendwann tatsächlich auch eine Ausstellung herauskommen darf, umso besser. 

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