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Kultur: Markt und Moral

Kunstkritiker Hanno Rauterberg im Kunsthaus

Die Exzesse des Kunstmarktes seien offensichtlich noch nicht im Kunstverein Kunsthaus angekommen, konstatierte Hanno Rauterberg, als er am Mittwoch dort zu Gast war. Eine Skizze von Ute Hoffritz aus der aktuellen Ausstellung kostet 320 Euro. Auch das teuerste Bild der Ausstellung, ein Ölbild von Hennig Loeschcke für 11 000 Euro sei noch verhältnismäßig erschwinglich. Dennoch diskutierte der Kunstredakteur- und Kritiker der Wochenzeitung „Die Zeit“ im Ausstellungsraum mit Besuchern über „Die neue Unfreiheit“ der Kunst. Untertitel: „Wie Markt und Moral die Kunst bedrohen“.

Noch vor wenigen Jahren hieß das Bild einer schwarzafrikanischen Frau, gemalt von Anita Rée um 1917, „Negermädchen“. Bilder, die Emil Nolde auf einer Reise von Südseeinsulanern fertigte, waren „Eingeborenenportraits“. Im vergangenen Jahr allerdings wollte die Kunsthalle Bremen mit einer Ausstellung und der Unterstützung der Anthropologin Julia Binter ihre koloniale Vergangenheit aufarbeiten. „Das Ergebnis ist verheerend“, schreibt Rauterberg. Aus Eingeborenen wurden E*** aus dem Negermädchen wurde N***. Auch eine unschuldige Banane auf einem Stillleben von Paula Modersohn-Becker wurde nicht verschont, sondern war nun eine „in Plantagenarbeit hergestellte Banane“, die einen fragwürdigen „Wendepunkt im deutschen Konsumverhalten“ vorweg nahm.

Während es dem Großmaler Georg Baselitz (Hans Georg Kern) mit seiner „Großen Nacht im Eimer“ noch gelang, einen Skandal schlicht dadurch zu provozieren, dass ein ruppig gemalter Knabe mit konturlosem Gesicht in Lederhose ins Dunkel onanierte, seien heute die Fronten verschoben, so Rauterberg. Kritiker aus einem vermeintlich linken Spektrum schlügen über die Stränge und brächten dadurch das durchaus berechtigte Anliegen in Gefahr, die Kunstgeschichte und Kunstbetrachtung auf rassistische und europäisch hegemoniale Sichtweisen hin zu untersuchen. „Es findet eine Verschiebung weg von der Ästhetik hin zur Ethik statt“, so der Kunstkritiker.

Ethik sei allerdings zunächst einmal jedenfalls kein Bildwerk, sondern eine Anschauung oder Überzeugung, die ganz gut ohne bildliche Darstellung auskäme. Die Aufgabe der Kunst sei eine andere. Schon immer habe sie verstören und ästhetische Welten jenseits des gewollten Kanons eröffnen wollen. Dies könne durchaus zu fragwürdigen Herstellungsprozess führen. So bei Balthus, der hunderte Fotos eines unbekleideten, pubertierenden Mädchen fertigte, oder bei Ernst Ludwig Kirchner, der, selbst vermutlich drogengeschwängert, sein acht Jahre junges Model Lina Franziska Fehrmann, auf Bildertiteln bekannt als „Fränzi“, ebenfalls gerne nackt, mit geöffneten Beinen, zeichnete. Dennoch sei es unangemessen nun zu verlangen, die entstandenen Bildwerke beispielsweise von Balthus, aus dem Museum zu verbannen. Zurecht habe sich das Museum einer entsprechenden Petition widersetzt, so Rauterberg. Ohnehin handele es sich bei der so artikulierten ethischen Betrachtung der Kunstwerke um eine Kehrseite der Kunst, die ihre andere Ausformung in Versteigerungserlösen finde, die jenseits jeder nachvollziehbaren ökonomischen Wirklichkeit lägen.

450 Millionen US-Dollar zahlte ein arabischer Käufer kürzlich für den Erlöser der Welt – Salvator Mundi – ein Bild, von dem nicht einmal sicher ist, ob es wirklich Leonardo Da Vinci zugeschrieben werden kann. Hier werde Kunst zum reinen Repräsentations- und Distinktionsmerkmal, bemerkt Rauterberg. Gemeinsam sei der ethisch konnotierten Betrachtungsweise von Kunstwerken und den spekulativen Auktionspreisen, dass beide eigentlich am bild- oder sonstwie figürlichen Werk gar nicht interessiert seien. „Die Betrachtung von Farbe und Form, von Bildaufbau und Ästhetik, von sozialem und geschichtlichem Kontext geht dabei völlig verloren“, sagt Rauterberg. Die Kunst werde auch das überleben, erwidert jemand aus dem Publikum. Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

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