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Echt jetzt? Marc Brandenburgers Spiel mit Identitäten.

© Martin Müller

Marc Brandenburg im Kunstraum Potsdam: Spiel mit Strickmustern

Weißer Europäer, schwarzer Afrikaner? Mit seinem vor 20 Jahren begonnenen Strickprojekt will Marc Brandenburg Verwirrung stiften und mit Denkmustern brechen.

Das hätte der Künstler Marc Brandenburg nicht gedacht: eine Arbeit, vor 26 Jahren im Berliner Künstlerhaus Bethanien erstellt, wird heute wieder ganz aktuell. Eigentlich sind es simple Pullover. Aber dort, wo normalerweise die Öffnung für den Kopf des Trägers ist, befindet sich eine weitere Applikation, ein gestrickter Kopf. An die Arme sind ebenfalls Hände gestrickt. So verbirgt der Pullover die ethnische Herkunft seines Trägers, denn alle Hautpartien sind bedeckt. Im Kunstraum Waschhaus sind Großbildvideos zu sehen, in denen Personen durch Berlin wandern und die Strickware spazieren tragen.

„Tarnpullover für Ausländer“ hat Brandenburg seinen Ausstellungsbeitrag damals genannt, heute nennt er die Schau im Kunstraum: „Camouflage Pullover“. Die Köpfe auf den Pullovern weisen verschiedene „Hautfarben“ auf, die meist nicht mit der des Trägers identisch sind: kaukasisch, asiatisch, arabisch, afrikanisch, europäisch. Löcher für die Augen und ein Schlitz für den Mund machen es dem Träger möglich, sich mit Pullover und Maske in der Öffentlichkeit zu bewegen. Eigentlich waren die Pullover damals ausschließlich als Ausstellungsstücke konzipiert. Sie waren zu klein, tragen hätte man sie nicht können. Heute aber, in der Neuauflage, sind sie tragfähig und werden nach der Präsentation im Kunstraum von Katharina Koppenwallner in ihrem Laden in Berlin präsentiert, in dem sie auch andere ausgefallene Kleidungsstücke zeigt: Trachten. „Trachten unterstreichen die Kultur der jeweiligen Gesellschaft, die Pullover verbergen die Merkmale desjenigen, der sie trägt. Die Zusammenstellung erschien mir sehr reizvoll“, sagt Koppenwallner.

Mit Tarnpullovern durch Berlin

Brandenburg beschränkt sich bei seiner jetzigen Version der Tarnpullover nicht darauf, diese als Ausstellungstücke an der Wand zu positionieren. Er kleidet verschiedene Personen darin ein und lässt diese durch Berlin wandern. Das irritiert. Sitzen die Angekleideten nur einfach auf einer Bank, sind sie leicht mit einer angezogenen Schaufensterpuppe zu verwechseln. Gehen sie durch die Stadt, könnte man sie für eine animierte Puppe halten, würden sie sich nicht so menschlich bewegen.

Als der Künstler die Pullover erstmals entwarf, hatte er bei einer Reise nach Dänemark Rostock durchfahren. Dort hatten wenige Tage zuvor ausländerfeindliche Ausschreitungen stattgefunden: ein Asylantenheim war angezündet worden und ausgebrannt, die Polizei hatte keinen Schutz gewährt. In Deutschland war der Hitlergruß gezeigt worden, ein peinliches Foto fand weltweit Aufmerksamkeit. Als der Künstler mit einer Fähre nach Dänemark übersetzte, waren er und seine Begleiter bedrängt worden. Marc Brandenburg hat eine etwas dunklere Hautfarbe, wegen eines Elternteils mit afroamerikanischer Herkunft und dunkle, volle, krause Haare. „Damals hatte ich Rastalocken und die Leute auf der Fähre fingen an, mir in die Haare zu greifen und kamen immer näher“, sagt Brandenburg. „Es war eine wirklich bedrohliche Situation auf der Fähre. Wir, die Andersartigen, die Freaks aus der Großstadt“, erinnert sich Oliver Koerner von Gustorf, der mit von der Partie war, die Eröffnungsrede hielt und im Bethanien mit Brandenburg zusammen ausgestellt hatte. Gustorf, damals ebenfalls noch Künstler, ist ebenso wie Brandenburg im internationalen Kunstbusiness angekommen. Für den Autodidakten Brandenburg war die Präsentation im Bethanien die Eintrittskarte in eine der wenigen ausgesprochen erfolgreichen Galerien in Berlin. Gustorf betätigte sich fortan als erfolgreicher Kunstmanager und Galerist.

Die Verwirrung ist weiter notwendig

Die gegenwärtigen Entwicklungen in Deutschland hätten ihn zu einer Neuauflage der Tarnkleidung veranlasst, so der Künstler Brandenburg. Er habe vor mehr als zwanzig Jahren gedacht, dass sich die Stimmung in Deutschland verändern würde, das Land offener würde. Gustorf weist in seiner Rede auf die Plakatreklame von Benetton hin, die damals als „United Colours of Benetton“ das Bild einer grenzenlosen Welt gezeigt habe, in der Menschen aller Hautfarben gut gelaunt umherspringen und gut Freund sind. Das sei eine positive Utopie gewesen, die sich nicht erfüllt habe, stellt auch Jan Kedves fest, der einen Text zur Ausstellung geschrieben hat. Leider sei die Provokation und die Verwirrung, die durch die Kunst-Pullover entstehen könne, heute noch notwendig. Käme beim Abnehmen des maskierenden Pullovers statt eines Mannes eine Frau, statt eines weißen ein farbiger Mensch zum Vorschein, wäre der Betrachter wahrscheinlich irritiert und müsse über die Rollenklischees nachdenken, die ihn prägen würden, so Gustorf. Genau das sei beabsichtigt.

Die Kodierung als „weißer Europäer“ oder „schwarzer Afrikaner“ durch die Kleidungsstücke habe ihre Entsprechung in den von ihr gezeigten und angebotenen Trachten, sagt Katharina Koppenwallner. Trachten würden kulturelle und soziale Merkmale herausstreichen und den Träger einem bestimmten kulturellen Umfeld zuordnen. Gewissermaßen sei es die Umkehrung der Tarnung. Gustorf allerdings fragt, ob hinter der Maske oder der Tracht überhaupt so etwas wie ein „wahres Selbst“ existiere.

Zu sehen bis zum 14. Oktober im Kunstraum Waschhaus, Mi bis So 13 bis 18 Uhr, Schiffbauergasse

Richard Rabensaat

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