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Kultur: Majestätisch und morbid

Magisches Zwitterwesen und grandioser Totentanz

Unterschiedlicher könnten die beiden Darstellerinnen kaum sein. Die kleine Kräftige im schwarzen Frack und Zylinder fragt „Haben Sie schon zu Abend gegessen?“, mahnt „Vorsicht Stufe!“, und fordert bereits vor der Vorstellung donnernden Applaus. Mit viel „französischem“ Charme stimmt die Italienerin Alexandra Lupidi die Besucher am Donnerstagabend auf Ilka Schönbeins Figurentheaterinszenierung „Die Alte und das Biest“ ein.

Die Meisterin selbst sitzt als hagere Alte im schwarzen Kleid – ein Zwitterwesen zwischen Hexe und Königin – reglos auf einem Stuhl und beginnt einen roten Apfel sehr langsam zu schälen. Doch als ihre vitale Begleiterin erklärt, dass jetzt der Saal bereit sei, kommt auch Leben in sie. Ein Nachttopf wird geleert, der Gehstock fliegt weg und die morbid-majestätische Erscheinung schlägt ihre Röcke auseinander. Ein fahles Tüllkleid und ihre bisher vor das eigene Gesicht gehaltene Maske sind die einzigen Requisiten, mit denen sie zuerst den Traum vom Tanzen, vom Leben und Sterben, vom Lieben und Geliebtwerden erzählt.

Sofort ist man fasziniert von der ungeheuren Präsenz der Schauspielerin und Tänzerin Ilka Schönbein, die in jungen Jahren das Marionettenspiel erlernte und die Figuren an den Fäden immer mehr an sich heranholte, bis sie mit ihr selbst zu magischen Zwitterwesen verschmolzen. Das kann man in dieser Inszenierung, die in Auseinandersetzung mit dem Tod ihres Vaters entstand, eindrücklich und in heftigen ästhetischen Kontrasten erleben. Diese knochige Alte ist in jedem Moment ihres Auftretens eine Andere. Sie haucht ihren Figuren nahezu gleichzeitig Jugend und Alter, Frische und Vergänglichkeit, Lust und Schmerz ein. So nimmt sie einen mit auf eine verrückt-suggestive Reise, die alles beinhaltet, was uns zwischen Himmel und Erde widerfahren kann.

Dabei verknüpft sie Märchenmotive aus „Der Tod auf dem Apfelbaum“ und „Die Schöne und das Biest“, um ganz alltäglich bei der Geschichte von Lena zu enden, die mit 85 noch „leben“ und nicht ins Altenheim will. Deren grandios-berührender Todestanz gehörte zum Stärksten, was man an diesem Abend erleben durfte und es ist unglaublich, was eine kleine Maske, die sogar beim Sterben kindlich wirkte, und ein helles Leinenhemd, in den Händen von Ilka Schönbein auszudrücken vermögen. Die Zuschauer waren wie gebannt und wagten kaum die Hände zum Applaus zu rühren.

Wunderbar, dass jetzt wieder die Begleiterin Alexandra Lupidi „eingriff“ und eine theatralisch-leichte, lebensfrohe „Zugabe“ erfand. Sie war es auch, die die 90-minütige Lebensreise vielsprachig gesanglich und musikalisch begleitete, und so den märchenhaft-grotesken Erzählungen über das Werden und Vergehen eigenen Witz und Esprit verlieh. „Lassen Sie Ihre Fantasie Feuer fangen!“ hatte sie zu Beginn verlangt. Wem das in dieser theatralisch dichten und philosophisch schwebenden Inszenierung nicht gelungen ist, dem ist wirklich nicht zu helfen. Bevor die Zuschauer zu Cidre und Apfelsaft auf die Bühne gebeten wurden, applaudierten sie minutenlang diesen großartigen Künstlerinnen. Astrid Priebs-Tröger

Unidram läuft noch am heutigen Samstag und morgigen Sonntag in der Schiffbauergasse. Informationen zum Programm unter www.unidram.de

Astrid Priebs-Tröger

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