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Kultur: Männer mit Strumpfhosen

„Sehsüchte“ I: Das Cineastische Quintett

Mit dem cineastischen Quintett des Studentenfilmfestes „Sehsüchte“ verhält es sich ähnlich wie mit dem legendären Literarischen Quartett. Es geht nicht nur um die Bücher beziehungsweise Filme, es geht auch um die Kritiker. Die produzieren sich gerne anhand der zu rezensierenden Werke, profilieren sich, spielen sich in den Vordergrund. Man denke nur an Helmuth Karasek im Literatur-Quartett, nach jedem Bonmot schielte er nach Aufmerksamkeit heischend ins Publikum. Bei den Cineasten der „Sehsüchte“ übernehmen diese Rolle traditionell der Berliner Underground-Filmer Jörg Buttgereit, der nach eigenen Worten „Arthouse Horror“-Filme dreht, und der HFF-Filmwissenschaftler Prof. Lothar Mikos.

Mikos setzt gerne auf Provokation, bleibt damit aber meist stecken. „In der Frage, ob die Familie die Rettung oder der Untergang des Abendlandes ist, tendiere ich zum letzteren“, sagt er zu dem in den Filmen allgegenwärtigen Topos Familie. Womit er keine Reaktionen erntet, sondern eher verhalten ablehnendes Gemurmel in den Zuschauerreihen. Zum Glück hört Mikos nicht, was hier über seine Statements gesagt wird.

Buttgereit hat das schon besser drauf. Er setzt auf berlinernden Sponti-Witz und simplen Humor. „Was sagt eigentlich das Publikum, haben die überhaupt den Film gesehen?“, wirft er etwa ein. Oder sein Kommentar zu dem phantastisch-opulenten Mini-Musical „Knospen wollen explodieren“ mit Tatort-Kommissar Boris Aljinovic. „Süße Mädchen, super Frisuren und Männer in eng anliegenden Strumpfhosen – das war eigentlich ein echter Knaller“, so Buttgereit. Tatsächlich recht überraschend, wie der junge Schönling, der im Baumarkt Farben und Gips verkauft, plötzlich singt und tanzt. Die bunte Phantasiewelt in der die verspielte Liebesgeschichte sich entspannt, besticht durch ihre Künstlichkeit. Dies sei Ausdruck der künstlichen Beziehungen, verrät die Regisseurin Petra Schröder. Die Mädchen fliegen wie Elfen, die Bäume zerbrechen wie Porzellan. Aljinovich darin als eine Art Herrscher der Gefühle, ein falscher Typ mit Hang zum Narzissmus. „Manchmal hatte man bei dem Film das Gefühl, dass die Dinge haarscharf daneben gehen, das ist aber auch wurscht“, meint Buttgereit. Das sei eben schöner, als wenn in einem Film alles perfekt flutscht. Ein Hinweis der Experten dann an die anwesende Nachwuchs-Regisseurin: Verraten sie nichts von ihrem Film, damit nehmen sie ihm sein Geheimnis.

Zuvor hatte das Quintett noch seine liebe Mühe, dem bedeutungsschwangeren Film „Tantalus“ von Christian Schwochow sein Geheimnis zu entlocken. Einig waren sich die Kritiker darin, dass Winfried Glatzeder den alten, kranken Mann, der in einer verwunschenen Villa mit den Dämonen seiner Kindheit kämpft, brillant und mit großer Glaubhaftigkeit spielt. Doch wieso seine Frau einen Schlüssel vor ihm verbirgt, was der Ausbruch des Kindes zu bedeuten hat, da waren die Rezensenten überfragt.

Der Filmkritiker Jan Distelmeyer, zur Zeit Gastdozent an der Universität Potsdam, hatte dann doch noch eine Idee: „Der Schlüssel am Hals der Frau, am Hals der Mutter, die dann irgendwann den Hals voll hat, dem Jungen den Schlüssel gibt, mit dem er aus der Mutter-Sohn Beziehung ausbrechen kann, um auf ein Mädchen mit einem Schlüssel am Hals zu stoßen: Da wartet dann das nächste Gefängnis.“

Einigkeit bei den Kritikern dann zu dem dänischen Film „Glimpse of Darkness“ (Martin Barnewitz). In der Nachbarschaft verschwindet ein kleiner Junge, Angst greift um sich. Dem Vater einer Nachbarfamilie kommt der böse Verdacht, dass seine beiden Kinder etwas damit zu tun haben könnten. Nachdem der Junge tot aufgefunden wird, entscheidet sich der Vater, für seine Familie und gegen die Wahrheit. Christine Deggau vom rbb wirft die Frage auf, ob es die Kinder wirklich waren. Und allein an der Länge und Tiefe der entbrennenden Debatte zeigt sich die Qualität dieses eindringlichen Films.

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