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Kultur: Männer bei der Arbeit

Schaumstoff-Action und schweres Geacker: Duda Paiva und Akhe eröffnen das 23. Unidram-Festival

Manche tun ab Anfang 20 gerne schon ganz erwachsen. Das Festival Unidram hingegen tut auch 23 Jahre nach seiner Gründung alles dafür, ja nicht zu arriviert daherzukommen. Dass es immer wieder für spielerische Frotzeleien gut ist, zeigte auch die diesjährige Eröffnung am Dienstagabend in der fabrik. Zunächst erzählte Festivalgründer Thomas Pösl launig vom 8.November1989: An dem Abend hatten er und Co-Gründerin Franka Schwuchow in Dessau Theater gespielt, danach fuhr man statt zum Schauplatz der Weltgeschichte in Berlin lieber nach Hause. Die Geschichte, so der Gedanke, taumelte auch ohne sie: Also hatte man alle Zeit der Welt. Eigen, auch mal antizyklisch – das ist Unidram bis heute.

Schnell bis vorschnell waren die beiden Eröffnungsrednerinnen aus der Politik. Staatssekretärin Ulrike Gutheil lobte das T-Werk zurecht als einen der herausragenden Orte der freien Szene in Brandenburg – und freute sich, schon mal einen „deutlichen Zuwachs für Projektförderung der freien Träger“ ankündigen zu dürfen. Na, na, so weit sei der Haushalt doch noch gar nicht, bremste Kulturdezernentin Iris Jana Magdowski da, lobte aber trotzdem, dass Unidram immer so schön frech“ sei.

Währenddessen hatte auf der Bühne der fabrik ein seltsam bucklig Männlein mit dick umrahmter Brille geduldig gewartet: der brasilianische Tänzer und Figurenspieler Duda Paiva. Dessen Stück „Blind“ war die künstlerische Eröffnung des Festivals. In einer Stuhlreihe sitzt Paiva anfangs neben auch auf der Bühne platziertem Publikum – im Warteraum einer Arztpraxis, wie sich herausstellt. Paiva deutet auf die Beulen auf Rücken, Beinen und Brust: Symptome einer Krankheit, die ihn erblinden lässt. Auch Sitznachbarn werden zu ihren Krankheiten befragt.

Die erwartete Heilerin entpuppt sich als hochgewachsene, gelenkige Dame aus Schaumstoff. Barbusig, kahlköpfig, in ausschweifendem Reifrock. Eine unheimlich lebendige Erscheinung, von Paiva mit einer Hand geführt. Paiva leiht der Puppe auch seine Stimme: Der Mann ist auch Stimmakrobat. Unter kehligem Singsang, afrobrasilianischem Yoruba-Gesang, vollzieht die Heilerin eine Art Exorzismus. Riecht an seinen Beulen, rümpft die schaumstoffweiche Nase und öffnet die Beule. Heraus quillt, wie Eiter, eine weitere Schaumstoffkugel. Auseinandergefaltet eine Figur mit großem, schwarzem Rachen. Kein Baby, ein Monster.

Das Ineinander von Puppe und Mensch, diese verknäulte Zwischenexistenz zwischen lebendem und totem Material, ist erstaunlich. Die Geburt der Bühnenfiguren aus dem eigenen Leib, das ist beeindruckend – nicht zuletzt als Metapher für den künstlerischen Prozess selbst. Das Monströse, und auch das Schöne, kommt nicht irgendwoher, sondern aus uns. Nach dem garstigen Männlein gebiert Paiva auch ein gazellenschmales, liebliches Mädchen. Vielleicht hört aber schon bei diesem vordergründigen Nebeneinander von Gut und Böse der eigentliche Zauber von „Blind“ auf. Paiva will neben dem Schaffensprozess, der natürlich auch Heilungsprozess ist, auch noch eine ziemlich reißerische Geschichte erzählen, den Kampf zwischen Bad Guy und Good Girl, der sich gegen Ende ansieht und anhört wie der Showdown eines Action-Thrillers. Und wer kommt durch? Der geläuterte Held natürlich. Ohne Buckel, ohne Brille.

Die Deutschlandpremiere „Between Two. Trial. Six Worlds“ von der russischen Performance-Gruppe Akhe dagegen war ein Strom aus schwer dechiffrierbaren Zeichen. Akhe geben mit vier Gastspielen in diesem Jahr den Ton bei Unidram an. Der Akhe-Ton: ernst und kindlich, untertourig komisch, grüblerisch, tüftlerisch. Auch für Kenner neu dürfte eine bisher unbekannte Dimension des Körpereinsatzes sein. Vor Vorstellungsbeginn vorsichtshalber die Warnung: „Es wird Blut fließen. Echtes Blut“. Was auch geschah, unter professioneller ärztlicher Betreuung allerdings.

„Trial. Six Worlds“ mit Maxim Isaev und Pavel Semchenko ist eigen und antizyklisch. Es ist Teil eins der Auseinandersetzung mit einer buddhistischen Schrift aus dem 8. Jahrhundert, dem „Tibetischen Totenbuch“. Es geht um Bewusstseinszustände. Konkret die beim Sterben, nach dem Tod und, im Buddhismus Selbstverständlichkeit, nach der Wiedergeburt. Wer darüber nicht viel weiß, wird auch nach „Trial“ nicht mehr wissen. Akhe erklärt nicht, Akhe probiert, tüftelt – und ackert. Einzelne Elemente aus dem Lebenskreislauf lassen sich ausmachen: Milch, der Lebensstoff schlechthin, wird vergossen, mit einem Hemd wieder aufgewischt, in einen Becher gewrungen und getrunken. Ein Kreislauf. Mit Wein, einem anderen Lebenssaft, geschieht das Gleiche. Und beide Künstler lassen sich auf der Bühne je 200 Milliliter Blut abnehmen. Im Gemisch mit Wein, Milch, Kaffee und roter Beete liefert das dann den roten Farbstoff für vier Meter hohe Porträts, in denen der Laie buddhistische Gottheiten erkennen will. Oder andere Götzen? So oder so: Alles kommt wieder weg. Alles wird weiß gestrichen.

Das klingt reißerisch, aber tatsächlich passiert es in einem geruhsamen, behäbigen Rhythmus. Isaev und Semchenko ackern mit der Genauigkeit und Geduld von Forschern – auch noch, wenn sie am Ende bäuchlings über die Bühne robben, die Anzüge verschmiert, die Bärte verschwitzt. Was auch immer diese beiden Metaphysiker suchen, sie tun es in physischer Schwerstarbeit, mit Haut und Haaren. Fortsetzung heute. Lena Schneider

Der zweite Teil des Akhe-Zyklus „Between Two. Karmic Storm“ ist heute Abend um 20 Uhr im T-Werk, Schiffbauergasse 4E, zu sehen. Unidram läuft noch bis 12.11.

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