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Kultur: Loslassen

Liedermacher Torsten Riemann in der Comédie Soleil

Dieser Mann ist ein Kraftmensch. Nicht nur äußerlich. Fast zwei Meter groß, mit athletischer Figur und blauen Strahlaugen. Der Berliner Torsten Riemann ist auch ein leidenschaftlicher Musiker und Sänger, mit ansteckendem Witz und viel Esprit. Am Samstagabend stellte er in der Potsdamer Comédie Soleil seine neueste CD „Endlos leben“ vor.

Es ist „erst“ seine siebte, obwohl er seit mehr als zwanzig Jahren auf der Bühne steht. Doch der charismatische Liedermacher, der sich auch in unserer schnelllebigen Zeit das Recht nimmt, „seine Lieder selbst zu leben“, steht dazu. Mit Charme und einer gehörigen Portion Koketterie bezeichnet sich der 42-Jährige als „junges Talent".

Man merkt schnell, er selbst ist noch lange nicht angekommen, ist weiter unterwegs, lebt mehr das Sein als das Haben. Dabei scheinen Singen und Musizieren die ihm gemäßen Daseinsformen zu sein, zum Überleben tun es dann auch Taxi fahren, Kellnern und Kranke pflegen. Oder auch Jobs als Rhetoriktrainer, Moderator oder Konzertveranstalter. Und so strahlen seine erzählten Geschichten eine starke Authentizität aus, erzählen auch auf dieser CD vom ganz normalen Leben mit allen seinen Höhen und Tiefen. Nichts wird ausgespart, alles bis auf den Grund ausgekostet: Die Liebe und der Schmerz, das Blühen und das Vergehen, der Augenblick und die Ewigkeit. Das fühlt sich kräftig, zupackend und energisch an. Egal, ob er ein Liebeslied singt oder über das Sterben eines aidskranken Gefährten.

Und Riemann, der virtuos zwischen Gitarre, Klavier und Akkordeon wechselt, entwickelt eine fast unbändige Energie, die bald auf die Zuhörer überspringt, obwohl in dieser eisigen Vorfrühlingsnacht nur gut zwei Dutzend den Weg in das kleine Theater in der Brandenburger Vorstadt gefunden haben. Riemann hält sie fest, gut zwei Stunden lang. Mit einer Kraft, die auch für zweihundert gereicht hätte.

Immer lebensbejahend und beinahe wie ein Mantra wiederholt er in seinen Liedern und Chansons dieses eine Thema in vielen verschiedenen Variationen: „Einfach leben, jetzt und hier nur da sein, füreinander wahr sein und dann mühelos vergehen.“ Und er spricht dabei eine klare Sprache, der man sich kaum entziehen kann: Unverblümt, nachdrücklich und schnörkellos. Nichts zum Ankuscheln und Träumen, aber gut zum Wachwerden und Auftanken. Überhaupt nichts übrig hat der Querdenker aus Leidenschaft für die Satten und Saturierten, doch auch die Jammerlappen und ewig Zögerlichen bekommen ihr Fett weg. Nicht ohne die Ermunterung: „Hör endlich auf, fang endlich an!" Nämlich zu leben. Und das endlos, in jeder Sekunde und jeder Stunde.

Fast ist man am Ende des Konzerts beschämt ob der eigenen, von Zeit zu Zeit auftretenden Kleinmütigkeit. Einfach leben? Riemanns Lieder haben auch hierfür einen Schlüssel: Loslassen, dem Wind trauen, sich dem Leben in den Schoß legen. Einfach leben! Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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