zum Hauptinhalt
Näher zusammen geht nicht: Sie sind kein Paar und auf welches Ziel diese beiden, der schwedische Tänzer Johan Thelander und die Finnin Kristiina Viiala, zusteuern, bleibt in Gunilla Heilborns Tanz-Theater-Stück „This is not a love story“ offen.

© Stefan Bohlin

Kultur: Lose Enden ohne Liebe

Gunilla Heilborns Tanz-Theater-Inszenierung „This is not a love story“ in der fabrik-Reihe „Geschmacksverstärker“

Geschmacksverstärker sind Lebensmittelzusatzstoffe, die den Geschmack von Speisen durch ihren ausgeprägten Eigengeschmack verstärken. Die Reihe „Geschmackverstärker“ in der fabrik Potsdam hat hingegen das Ziel, Gaumenfreuden mit Sehgenuss zu verbinden, also neben der Zunge auch alle anderen Sinne anzusprechen. Und das geschieht mehrmals im Jahr mit außergewöhnlichen Inszenierungen und ausgesuchten Menüs. Am vergangenen Wochenende kamen dabei wieder sowohl Gourmets als auch Kunstliebhaber auf ihre Kosten, als im fabrik-Café ein vorweihnachtliches Menü und auf der großen Bühne eine Inszenierung der schwedischen Choreografin Gunilla Heilborn offeriert wurden.

Doch schön eines nach dem anderen: Dem delikaten Drei-Gänge-Menü mit ausgesuchten Weinen konnte man sich widmen, bevor dann um 20.30 Uhr die Inszenierung begann. Und das lohnte sich, denn bei der Speisenfolge gingen gebeizter Zander und knusprige Entenkeule eine wunderbare Harmonie mit dem zartschmelzenden Lebkuchenparfait ein. Wie schade, dass ein derartiger Genuss an diesem Ort nur an wenigen Abenden möglich ist – und am Samstagabend leider auch nur von etwa einem Dutzend Gäste genutzt wurde. Aber wahrscheinlich muss sich dieses doppelte Angebot erst einmal herumsprechen. Es passte jedenfalls sehr gut in die hektische Vorweihnachtszeit, in der sich bei vielen die Gaumenfreuden vorwiegend auf die üblichen Verkostungen auf den Weihnachtsmärkten beschränken werden.

Der kulturelle Teil des Abends begann dann sehr dramatisch mit Blitzezucken und Donnergrollen auf der Bühne und im hell aufleuchtenden Zuschauerraum. Scheinbar völlig unberührt von diesen Ereignissen standen ein Mann und eine Frau nebeneinander. Ihre Kleidung wies darauf hin, dass sie ein Paar sein könnten. Andererseits: Auf einem langgestreckten Schild im Bühnenhintergrund stand von Anfang an der Satz: „This is not a love story“. Und so war man einerseits geneigt, dieser Aussage zu glauben und ertappte sich andererseits permanent bei der Suche nach dem Gegenbeweis.

Äußerlich gab es nur zwei körperliche Berührungen dieses Paares, das vom Schweden Johan Thelander und der Finnin Kristiina Viiala dargestellt wurde. Als der Donner verhallte, trug er die plötzlich Leblose über die Bühne – und wenige Augenblicke später zog sie den ebenfalls wie tot Erscheinenden aus den Kulissen kommend hinter sich her. Zwischen dem dramatischen Beginn und dem abrupten Ende der beiden flackerten erst eine Parklandschaft, dann hohe Wellen und schließlich eine angedeutete Wohnung für den Bruchteil von Sekunden per Video-Projektion über die Bühne.

Dann erst begann das eigentliche Stück, das aus einzelnen angedeuteten Episoden bestand und zu keinem (happy) End(e) kam. Doch trotz oder gerade wegen lauter loser Enden vermochte der aber über sechzig Minuten lang in den Bann zu ziehen, auch wenn die Inszenierung in erster Linie Sprechtheater – manchmal leider etwas vernuschelt – und erst in zweiter Linie Tanz bot.

Eigentlich nicht verwunderlich: Die 49-jährige Schwedin Gunilla Heilborn gilt schon lange als Grenzgängerin zwischen Tanz, Performance, Film und Text. So war es für Eingeweihte keine Überraschung, dass „This is not a love story“, das 2011 auch in einem „Artists in Residence“-Programm in der Potsdamer fabrik entstand, vollkommen in dieses Konzept passte.

Heilborns Inszenierung ist unter anderem eine Hommage an den Roadmovie-Klassiker „Fluchtpunkt San Francisco“ von Richard S. Sarafian. Und wie der Protagonist des Kinofilms von 1971, der Ex-Rennfahrer Kowalski, erreicht auch das Paar in „This is not a love story“ niemals sein Ziel.

Doch zugleich muss man sich fragen, was denn für diese beiden ein Ziel sein könnte? Es schien, als wünschten die beiden gar nicht zu viel Berührung, sowohl körperlich als auch emotional. Als könnten sie vielleicht auch gar nicht mehr Nähe zulassen. Stattdessen umkreisten sie sich vor allem mit Worten, den Anfängen von Geschichten oder Geschichte wie etwa in der Episode um den Polarforscher Fridtjof Nansen.

Die Settings wechselten immer wieder, geringfügig, aber stetig änderten sich die Kostüme, die Situationen, die Bezüge aufeinander. In der Mitte der Aufführung stellten die beiden, die sich im Stück Vera und Kowalski nennen, eine Szene aus „Fluchtpunkt San Francisco“ nach – das erfuhren die Zuschauer aber erst im Nachhinein und es war auch nicht wesentlich für das, was insgesamt passierte.

Wenn sie gemeinsam tanzten, wirkten die beiden, als würden sie sich eher am Synchronschwimmen denn an einem Pas des Deux orientierten. Das war elegant und schön anzusehen, und auch originell. Da es eben „keine Liebesgeschichte ist“, fehlten doch die wechselhaften Gefühle, die eine solche gemeinhin auszeichnen.

Stattdessen war da distanzierte und kultivierte Nähe pur. Sie und er kamen nordisch unterkühlt daher und ab und an erinnerte das Stück nicht nur wegen des immer wieder aufscheinenden skurril-lakonischen Humors der Protagonisten an einem Aki Kaurismäki-Film. Die wunderbar spröde Finnin Kristiina Viiala mit ihrem alabasterfarbenen Teint und den dünnen blonden Haaren trug übrigens wesentlich zu diesem Eindruck bei.

Das Publikum nahm diese mit Leichtigkeit erzählte „Anti-Liebesgeschichte“, bei der die kongeniale Tonspur - Musik von Kim Hiorthøy und Tonkonzeption von Johan Adling – ein eigenes Hörspiel abgab, gut gelaunt und mit herzlichem Beifall auf. Einziger Kritikpunkt des Abends: Die Gaumenfreuden wären nach der Vorstellung wesentlich entspannter zu genießen gewesen.

Astrid Priebs-Tröger

Zur Startseite