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London liegt in Brandenburg: Filmgespräch: „Der junge Karl Marx“ im Thalia Babelsberg

Wie das Kino beizeiten auch geografische Grundfesten zu erschüttern vermag, war am Samstagabend im Babelsberger Thalia Kino zu erleben. Hier wurde „Der junge Karl Marx“ von Raoul Peck gezeigt, der nach seiner Premiere auf der Berlinale am Donnerstag offiziell in den Kinos anlief.

Wie das Kino beizeiten auch geografische Grundfesten zu erschüttern vermag, war am Samstagabend im Babelsberger Thalia Kino zu erleben. Hier wurde „Der junge Karl Marx“ von Raoul Peck gezeigt, der nach seiner Premiere auf der Berlinale am Donnerstag offiziell in den Kinos anlief. Manchester und Paris, erfuhr man im anschließenden Filmgespräch nämlich, liegen in Sachsen. In Görlitz, um genau zu sein. Und London ist Potsdam sogar noch näher: zu finden im brandenburgischen Kyritz, Ortsteil Ganz.

Dort, in der Prignitz, wurden Szenen des Films gedreht, die in den 1840er-Jahren im „Gentlemen’s Club London“ spielen, wie Produzent Benny Drechsel im Filmgespräch erzählte. Zu diesem war eigentlich der Schauspieler Stefan Konarske eingeladen worden, der allerdings aus familiären Gründen absagen musste. Gerne hätte man den Darsteller des Friedrich Engels, der vor einigen Jahren auf den großen Theaterbühnen des Landes auf sich aufmerksam machte, inzwischen in Paris leben soll, und klug genug war, sich von seiner Rolle als Tatort-Kommissar zu verabschieden, über seine Rolle als Sidekick von Karl Marx sprechen hören.

Stattdessen ging es um Drehorte und die erstaunlichen Schwierigkeiten, für diese deutsch-französisch-belgische Produktion in Deutschland – anders als in Frankreich etwa – Förderer zu finden. Knapp zehn Millionen Euro kostete der Film, der, so Benny Drechsel, dem „alten Karl Marx hinter den Bart schauen“ will. Deutsches Interesse daran hielt sich offenbar in Grenzen: Nur etwa 2,5 Millionen Euro kamen mithilfe der Mitteldeutschen Medienförderung, des Medienboards Berlin-Brandenburg, der Filmstiftung NRW und des Deutschen Filmförderfonds aus Deutschland.

Wie sieht es also aus hinter dem Bart des alten Marx? Der 26-jährige Film-Marx, gespielt von August Diehl, ist sorgender Familienpapa, lebenszugewandter Liebhaber, ein freilich etwas grummelnder (so gehört sich das) und sehr selbstbewusster Intellektueller, der sich schon ganz zu Filmbeginn stolz von der preußischen Polizei abführen lässt. Natürlich ist dieser junge Marx auch, als ihm der ebenfalls sehr junge Friedrich Engels erst einmal seine Bewunderung gesteckt hat, ein sehr treuer Freund, ein toller Saufkumpan. Überhaupt ein ziemlich toller Typ – und das ist wohl der Grund, warum dieser Film so wenig fesselt. Marx ist schon als junger Mann das, was die Macher in ihm offensichtlich sehen: einfach ein Held.

Filmisch zielt das ganz offenbar auf ein großes Publikum, auch die großen Melodiebögen zeigen davon. Erst im Abspann, nachdem die Heroen das „Kommunistische Manifest“ vollbracht haben, wird auch der Bogen ins Heute geschlagen, mit Filmschnipseln von Che Guevara bis Nelson Mandela. Natürlich stellt sich die Frage nach den Produktionsbedingungen auch heute – in Zeiten, in denen Kinderarbeit so fernab von uns stattfindet, dass sie sich bestens verdrängen lässt, vielleicht mehr denn je. Aber viel stärker als das bleibt am Ende die Frage hängen, warum man dem Vater der Kapitalismuskritik ausgerechnet mit einem derart gut verdaulichen Stück von kommerziellem Kino auf den Zahn zu fühlen versucht. Lena Schneider

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