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Der Roman bin ich. Und trotzdem sei alles erfunden, sagt Filmuni-Absolvent Axel Ranisch. In seiner Romanfigur ist er dennoch unschwer wiederzuerkennen.

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Literatur: Orgasmus mit Horn

Der Potsdamer Filmuni-Absolvent Axel Ranisch legt mit „Nackt über Berlin“ sein Romandebüt vor.

Von Sarah Kugler

Potsdam - Alles beginnt mit Rachmaninoff. Genauer gesagt mit seinen „Sinfonischen Tänzen op. 45“. Sie sind der Soundtrack zu einer jugendlichen Sexphantasie, einer, die heimlich unter der Bettdecke und gedämpft auf dem Kopfkissen ausgelebt wird. Vorangetrieben von den Holzbläsern findet sie schließlich – begleitet vom englischen Horn – ihren feuchten Höhepunkt. Axel Ranisch lässt einen in diese Szene einfach reinschlittern. Sie ist der Anfang seines Debutromans „Nackt über Berlin“, könnte aber auch aus einem seiner Filme stammen. Sie kommt genauso locker daher, mit skurrilem Humor, ein bisschen Selbstironie und ganz viel Ranisch.

„Dieser Roman bin ich, trotzdem ist alles erfunden.“ Das sagt der Autor, der mit „Dicke Mädchen“ bekannt wurde und zuletzt mit der bewegenden Tragikomödie „Alki, Alki“ im Kino zu sehen war, selbst über sein Buch. Und wer den Babelsberger Filmuni-Absolventen kennt, sieht auch sofort sein breites Lächeln auf dem Gesicht des 16-jährigen Protagonisten Jannik. Der ist ein bisschen übergewichtig und hat all die Probleme, die Jugendliche nun mal so haben. Erschwerend kommt hinzu, dass er in seinen besten Kumpel Tai verliebt ist und keine Ahnung hat, wie er mit ihm oder schlimmer noch mit seinen Eltern darüber reden soll. Immer wieder flüchtet er sich deswegen in die klassische Musik, Janniks große Leidenschaft – und die von Ranisch.

Klassische Stücke beschreiben die Gefühlswelt des Protagonisten

Zwei Mal hat Axel Ranisch Opern an der Bayrischen Staatsoper inszeniert, wenn er über Sopranistin Anja Harteros spricht, werden seine Augen feucht. In seinem Roman lässt er die Musik zu einer Hauptfigur werden, sie ist immer an Janniks Seite: Seiner Mutter bringt er Giovanni Bottesini nahe, Ravel wird zum Soundtrack eines YouTube-Clips und Tschaikowsky sorgt für romantisch-angespannte Momente zwischen ihm und Tai. Überhaupt benutzt Ranisch die klassischen Stücke immer wieder, um die Gefühlswelt seiner Hauptfigur zu beschreiben. Seine Emotionen schwellen mit ihr an und klingen mit ihr wieder ab.

Das mag nach schwulstigem Kitsch klingen, ist aber ein sehr gelungenes Mittel, um die Welt des Jugendlichen darzustellen. Die unausgegorenen Gedanken von Jannik, seine Selbstzweifel und die starken Gefühle Tai gegenüber berühren. Es macht Spaß, ihn dabei zu begleiten und auch erlösende Momente mit ihm durchzustehen. Etwa, wenn er sich in einem kurzen mutigen Moment traut, sich dem Cousin gegenüber öffnet und feststellt, dass der seiner Homosexualität vollkommen locker gegenübersteht. Janniks Verblüffung in diesem Moment ist lustig und rührend zugleich.

Mehr als eine Coming-of-Age-Geschichte 

Allerdings hat es Ranisch scheinbar nicht ausgereicht, eine einfache romantische Coming-of-Age-Geschichte zu erzählen, ein bisschen Krimi musste auch sein. Und so gibt es in „Nackt über Berlin“ eine zweite Ebene. Einen Erzählstrang, in dem Tai und Jannik ihren Schuldirektor in seine Wohnung einsperren, um aus ihm die wahren Umstände des Selbstmordes einer Mitschülerin herauszupressen. Diese Passagen sind durchaus spannend, wären aber in einem eigenen Buch besser aufgehoben. Denn auch, wenn Jannik durch die Entführungsgeschichte reift und ein Stück mehr zu sich selbst findet, führt sie auch immer wieder von ihm fort. Dabei wäre man ihm so gerne noch intensiver durch seinen Alltag gefolgt, hätte ihn und seine Familie gerne noch näher kennengelernt.

Ein kurzweiliges Lesevergnügen ist „Nackt über Berlin“ trotzdem geworden. Die fast 400 Seiten blättern sich von alleine um, besonders Ranischs flotte Dialoge entwickeln immer wieder eine Sogwirkung. Und spätestens, wenn Jannik am Ende voller Selbstbewusstsein Adeles „Someone like you“ ganz für sich allein singt, ist die die nicht ganz geglückte Doppelspurigkeit des Buches vergessen – zu sehr ist man Janniks Charme bis dahin verfallen. 

Axel Ranisch: Nackt über Berlin. Roman, 384 Seiten, Ullstein Verlag, 23. Februar 2018, ISBN-10: 3961010137.

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