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Künstler André Heller (l.) und Literaturkritiker Denis Scheck bei der Festveranstaltung von Lit:Potsdam im Garten der Villa Jakobs.

© Sarah Kugler

Lit:Potsdam im Garten der Villa Jacobs: André Heller erzählte irre Geschichten aus seinem Leben

Der österreichische Sänger, Schauspieler und Autor André Heller sprach bei der Festveranstaltung von Lit:Potsdam über seinen Vater, seine Zeit als Sänger  - und mahnte zu mehr Mitgefühl.

Von Sarah Kugler

Potsdam - Sie klingt absolut irre. Diese Geschichte von einer Autofahrt auf Sinai, die mit einem sich überschlagenden Auto, viel Kamelblut und  - was am erstaunlichsten ist - dem Überleben der Fahrzeuginsassen endet. Trotz des eingedrückten Autodaches, trotz des Benzins, das aus dem Auto ausläuft. „Wir sind auf einmal draußen gestanden. Es gibt keine Erklärung dafür“, sagt André Heller am Freitagabend im Rahmen von Lit:Potsdam. Aber er schwöre, genauso sei es geschehen. Und genauso schreibt er es auch in seinem aktuellen Erzählband „Zum Weinen schön, zum Lachen bitter“, aus dem er während der Festveranstaltung des Literaturfestivals im Garten der Villa Jacobs eigentlich lesen sollte.

Ein Tausendsassa

Das, also lesen, tue Heller aber nicht so gerne, wie Literaturkritiker  - und an diesem Abend auch Moderator - Denis Scheck erklärt. Heller ist das, was man gemeinhin als Tausendsassa bezeichnet: Er arbeitete beim Österreichischen Rundfunk, mitbegründete 1967 den ersten deutschsprachigen Popsender Ö3 und war selbst als Liedermacher unterwegs. Außerdem ist er Mitbegründer des Zirkus Roncalli, Schauspieler, Kulturmanager - und eben Autor. „Als ich ein Hund war“ oder „Das Buch vom Süden“ sind nur zwei seiner Werke.

Und so erzählt der 1947 in Wien geborene Allround-Künstler am Freitag einfach drauf los: Von seinem Großvater Wilhelm Heller zum Beispiel, Gründer der Süßwarenfabrik „Gustav & Wilhelm Heller“ und Erfinder der Dragées. „Das is so ein Zuckerl, wo Schokolade drum ist“, erklärt er dazu. Und springt dann auch schon zu Geschichten über seinen „sehr alten“ Vater, der 1895 geboren wurde, im Ersten Weltkrieg für Österreich kämpfte und während des Nazi-Regimes wegen seiner jüdischen Herkunft verfolgt wurde. 

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„Ich habe jeden Tag um seinen Tod gebetet“

In der Nacht, als die Gestapo sein Haus stürmte, habe er alle seine Orden aus dem Ersten Weltkrieg angelegt, erzählt Heller. Eine Geschichte, die ihn bis heute zu Tränen rühre. Und dass, obwohl er kein gutes Verhältnis zu seinem Vater hatte, ein Mann, der seine Frau zum Zittern brachte und den Sohn in ein Jesuiteninternat steckte, weil er wollte, dass er, Sohn André, Kardinal werde. „Ich habe jeden Tag um seinen Tod gebetet“, sagt Heller über diesen Vater.

So ernst manche seiner Erzählungen sind, der trockene Humor des Künstlers schwingt immer mit. Auch wenn er von seiner Zeit als Sänger erzählt, die er 1982 mit einem radikalen Entzug beendet hat und nach eigener Aussage ohne Drogen nicht überstanden hätte. Allerdings nicht mit LSD, das eigne sich nicht für Bühnenauftritte, das Schlafmittel Mozambin hingegeben führe zu einem Seligkeitszustand. „Sagen Sie nicht, Sie würden nicht mit praktischen Tipps nach Hause gehen“, kommentiert dazu Denis Scheck, der André Heller zwar ab und zu gedanklich in eine andere Richtung schubst, sonst aber nicht viel zu tun hat an diesem Abend.

„Wir werden lernen müssen zu teilen“

Zu sehr sprudeln die Geschichten heraus aus Heller, eine führt zur nächsten und wieder zu der davor oder andersherum. „Können wir diesen Abend ‚Vom Hundertsten ins Tausendste‘ nennen“, fragt er selbst irgendwann und schon fällt ihm wieder etwas ein. Langweilig wird es dabei nie, stundenlang könnte man ihm und seinem charmanten Dialekt zu hören. Egal, ob er vom Garten als Gottesbeweis schwärmt, von seiner Zwiesprache mit den Pflanzen erzählt oder von seiner Verweigerung, den Führerschein zu machen - weil Menschen mit Phantasie sich sowieso nicht auf den Verkehr konzentrieren könnten.

Gegen Ende führen seinen Erzählungen zu seiner Arbeit, zu seinem Leben in Marokko. Und während er von fehlendem Mitgefühl und dem „Geburtshaupttreffer“, den wir im westlichen Europa alle gelandet haben, spricht, erscheint dieser Abend vor der pompösen Villa Jacobs am Jungfernsee beschämend dekadent. „Wir werden lernen müssen zu teilen“, sagt Heller bezugnehmend auf Menschen, die Zuflucht suchen. „Dafür werden wir auch viel bekommen.“ So irre einfach ist das.

Lit:Potsdam 2020 endet am 9.8. mit einen Bücherfest im Treffpunkt Freizeit und einem Gespräch zwischen Ingo Schulze und Durs Grünbein im Garten der Villa Quandt.

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