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Maria cecilia Barbetta ist eine der prominenteren Lit:Potsdam Gäste. Für ihren Roman "Nachtleuchten" hat sie den Preis "Der Kleine Hei" erhalten. 

© Archivfoto: Manfred Thomas

Lit:Potsdam eröffnet: Wenn Welten zusammenkommen

María Cecilia Barbetta und Nino Haratischwili gaben den Auftakt der Lit:Potsdam, die bis Sonntag geht.

Potsdam - Ist es nun eigentlich die Magie der Macht oder die Macht der Magie, die die Literatur umkreist? Oder ist vielleicht gar die Magie an der Macht?

Wortspiele haben etwas Verwirrendes wie Erhellendes. Davon zeugte am Dienstagabend einmal mehr die Auftaktlesung der Lit:Potsdam, die unter dem Titel „Die Magie der Macht“ die Argentinierin María Cecilia Barbetta und die Georgierin Nino Haratischwili in die Stadt- und Landesbibliothek geladen hatte.

Lit:Potsdam: 500-Seiten lange Romane auf Deutsch

Beide Frauen verbindet vor allem Eins: Sie schreiben, 500 Seiten lange Romane, auf Deutsch, in einer Sprache, die nicht ihre Muttersprache ist, sondern eine seit der Kindheit angelernte, geliebte und so einverleibte, dass ihre Herkunft dahinter fast verschwindet. Bei Nino Haratischwili ist das besonders verblüffend. So sehr man auch ihrem Sprechen lauscht – man entdeckt keinen dem Deutschen fremden Klang.

María Cecilia Barbettas lebt seit 1996 in Berlin, als 24-Jährige kam sie als DAAD-Stipendiatin nach Berlin und promovierte an der FU Berlin über das Neofantastische. Auch ihr Deutsch: makellos. Nach dem Doktorgrad kam die Literaturwissenschaftlerin zum Literaturschreiben. Wie? „Ich war zum ersten Mal in meinem Leben arbeitslos“, sagt sie. Weil sich keiner auf ihre Bewerbungen zurückmeldete, habe sie geschrieben. Auf Deutsch. Eine Kurzgeschichte sollte es werden, aber „ich schreibe, wie ich erzähle, also ist daraus ein Roman geworden“. 

Nino Haratischwili ist Dramatikerin, Romanautorin und Theaterregisseurin. 
Nino Haratischwili ist Dramatikerin, Romanautorin und Theaterregisseurin. 

© Archivfoto: picture alliance/dpa

Thematisch kehrte sie bereits mit ihrem Debüt „Änderungsschneiderei Los Milagros“ in ihre Heimat Argentinien zurück. In „Nachtleuchten“, der Roman, den sie bei der Lit:potsdam vorstellt, 2018 erschienen, wirft Barbetta nun ein Licht auf den Vorabend des argentinischen Militärputsches 1976. Mit unbändiger Lust am Fabulieren und wunderbaren Sprach- und Typografiespielen verleiht sie den einfachen Menschen in ihrem Heimatviertel Ballester eine Stimme. Haratischwili hat ihren ebenfalls 2018 veröffentlichten Roman „Die Katze und der General“ über die Schuld und den Versuch der Wiedergutmachung an einem Mord an einer 17-jährigen Tschetschenin, in Moskau, Berlin und ihrer Heimatregion Kaukasus angesiedelt. Beide Romane loten auf ihre Weise, in den unterschiedlichsten Ecken der Welt, Machtverhältnisse sowie Diktaturen und Kriegstreiben aus. 

Wie man die Schrecken von Krieg und Diktatur mit Magie zusammenbringen kann, mag angesichts des wohl vor allem dem Marketingklang geschuldeten Titels der Veranstaltung – „Die Magie der Macht“ – nicht so recht einleuchten. Nino Haratischwili grenzt sich denn auch klar dagegen ab. Ihre Geschichte beruhe auf einem realen Fall, mit wenig Magie, sagt sie, da seien nur die Urkräfte des Krieges am Werk gewesen. Und auch „Nachtleuchten“, so die argentinische Autorin Barbetta, argumentiere immer wieder gegen die Magie. „Aber natürlich spielt sie in der schrecklichen Zeit eine tragische Rolle.“ Schließlich war der für die zu Zeiten des Militärputsches verheerend waltende Argentinische Antikommunistische Allianz zuständige Minister ein esoterischer Schundschreiber gewesen, allgemein bekannt als „El brujo“, der Hexer.
Auch der leider stellenweise ungeschickten Moderation gelingt der Link von der Macht zur Magie nicht wirklich. Gesa Ufer, Kulturjournalistin beim rbb und Deutschlandfunk Kultur, strickt in ihre Fragen immer wieder die Umkehrung des Titels ein und stiftet damit allenfalls Verwirrung. Aber immerhin lässt sich so dem Schreiben beider Autorinnen schon ein Stück näherkommen.

María Cecilia Barbetta gab den Auftakt der Lit:Potsdam

María Cecilia Barbetta hat wenig konkrete Erinnerungen an die Militärdiktatur, „aber ein Gefühl, subkutan, das ist die Angst“. In ihrer Familie habe es keine Opfer gegeben, aber all ihre Figuren in „Nachtleuchten“ kämpften gegen die Angst. Das Vehikel, um das Argentinien von damals zu befahren, sei die fremde Sprache. Nur so habe sie erst die Leichtigkeit und Freiheit erfahren. Doch: „Auch wenn man die Sprache und den Kontinent wechselt, trägt man seinen kleinen Rucksack weiter.“

Nino Haratischwili, Jahrgang 1983, hingegen wuchs, wie sie sagt, in einer Chaoszeit auf, mit vier Kriegen. Mit ihrem literarischen Schreiben arbeite sie sich an diesen extremen Zeiten ab, Zeiten, die auch das Extreme im Menschen ans Tageslicht beförderten. Zugleich seien aber genau diese extremen Zeiten eine Schatzkiste an Geschichten für sie. Autobiografisch jedoch ist ihr Ansatz nicht. Für sie ist Schreiben eher der Luxus, in eine Materie sehr tief einzutauchen und wie in einem Labor die Zeit anzuhalten, um letztlich mit ihren Figuren viele Leben zu leben. Für „Die Katze und der General“ recherchierte Haratischwili in Tschetschenien, und doch gilt ihr die eigene Vorstellungskraft als größter Antrieb. Barbetta hingegen verbindet das Imaginäre mit dem Autobiografischen. Sie sucht einen Ort, von dem aus sie erzählen kann. „Indem ich Literatur mache, kann ich einen Ort zum Leben erwecken, wie er so in Wirklichkeit nicht ist.“ 

Lit:Potsdam: Erinnerungen der Autorin

Nach ihrem erstem Erlebnis mit dem Deutschen fragt Gesa Ufer die beiden Autorinnen noch: María Cecilia Barbetta hat sofort eine Geschichte parat. Die des deutsch-argentinischen Kindergartens, in den sie eines Tages sollte. Sie wollte aber nicht, weil zwei Frauen davor standen und sich unterhielten. „Ich will da nicht rein, die streiten sich“, habe sie zu ihrer Mutter gesagt. „Nein“, so die Mutter, „die sprechen Deutsch.“ 

Nino Haratischwili kann sich hingegen nicht mehr an einen Schlüsselmoment erinnern, oft werde sie danach gefragt. Diesen harten Klang jedoch, der dem Deutschen bescheinigt wird, empfindet sie nicht. Überhaupt habe sie keinen Blick mehr von außen auf die Sprache, so sehr ist sie in ihr verwurzelt. Das Programm ist zu finden unter www.litpotsdam.de.

Grit Weirauch

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