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Anke Stelling sprach bei der Eröffnungsveranstaltung.

© Nane Diehl

Lit:Potsdam eröffnet: "Die Depression kommt später"

Bei der Eröffnung der siebten Ausgabe des Literaturfestivals Lit:Potsdam ging es am Dienstagabend um Stadt, Land - und die Wut über das Corona-Virus.

Potsdam - Der Auftakt der diesjährigen Ausgabe von Lit:Potsdam ist erst wenige Minuten alt, da ist bereits klar, warum man diese Art der Veranstaltung so vermisst hat. Nachdem es am Dienstagabend ein bisschen um Berlin ging, darum was die Stadt für die drei Autoren auf dem Podium eigentlich sei (selbstgewählte Heimat, größtenteils), sagt die Buchpreisträgerin Anke Stelling einen Satz, der alle Ratlosigkeit, Empörung und Sprachlosigkeit über das Corona-Virus und dessen Folgen auf den Punkt bringt. Sie sagt: „Es ist ja so: Krank werden und Sterben stellen eine große Kränkung dar.“ Eine Analyse der verstörenden Demonstrationen „gegen Corona“ in kürzester Form.

Fast hätte auch dieses Festival wie so vieles im Jahr 2020 nicht stattfinden können – fünf Monate wurde gebangt, der Termin von Juni auf August verschoben. Nun geht es doch: an frischer Luft größtenteils, versorgt mit Kopfhörern. Eigentlich ging es an diesem ersten Abend im luftig bestuhlten Garten der Villa Quandt um „Stadt und Land“. Dennoch werden noch viele Versuche folgen, die Wochen des Lockdowns zu beschreiben. Vieles wird schlau sein, vieles anekdotisch, aber nichts so knapp so wahr wie der Satz von Anke Stelling

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Depression und Wut wechselten sich ab 

Die Ostberliner Autorin Lea Streisand wird sich über den Begriff der „Systemrelevanz“ amüsieren und über die Chefin ihres Mannes, eine Literaturwissenschaftlerin, sagen: „Die glaubt das wirklich – dass Literaturwissenschaft systemrelevant sei.“ Der Autor Jan Brandt wird seinen Zustand der Lähmung beschreiben und auf die Frage, ob so ein Lockdown denn nicht auch produktiv mache, antworten: „Nein. Wenn draußen nichts tobt, tobt bei mir auch nichts drinnen.“ 

Alle drei Autoren sind sich einig darüber, dass Depression und Wut einander abgewechselt haben in dieser Zeit. „Noch sind die Leute wütend“, zitiert Streisand ihren Arzt. „Die Depression kommt später.“ Und Anke Stelling, deren Wut-Buch „Schäfchen im Trockenen den Preis der Leipziger Buchmesse 2019 gewann, sagt, was sie selbst an Corona wütend gemacht hat: die Ungleichheit, die sich darin offenbart, „wer wen unter welchen Bedingungen wo ansteckt“. Womit das eigentliche Thema von Gespräch und Lesung berührt ist. 

Lea Streisand.
Lea Streisand.

© Anika Büssemeier

Gesellschaftliche Unterschiede aufzeigen

Denn nicht nur ein Lockdown zeigt gesellschaftliche Unterschiede und Probleme wie unter einem Brennglas – sondern auch das Thema Wohnen. Gentrifizierung heißt Aussortieren, so Streisands griffige Definition der Problematik, die alle drei in ihren Büchern umtreibt. Lea Streisand beschreibt in dem Wenderoman „Hufeland, Ecke Bötzow“ gewissermaßen den paradiesischen Urzustand der totalen Durchmischung im Ostberlin der achtziger Jahre – aus der Perspektive eines Kindes, das lieber im Plattenbau am Stadtrand geblieben wäre. 

Jan Brandt.
Jan Brandt.

© Gerald von Foris

Anke Stelling erzählt in „Schäfchen im Trockenen“, wie eine Gruppe von Freunden beim Versuch, gemeinsam eine Baugruppe im schicken Prenzlauer Berg der Gegenwart zu bilden zerbricht – weil eine, Stellings Protagonistin, kein Geld hat. Und Jan Brandt umreißt in „Ein Haus auf dem Land/Eine Wohnung in der Stadt“, wie er selbst im Jahr 2016 elf Monate lang vergeblich in Berlin eine Wohnung suchte und zuletzt fast zurück aufs Land gezogen wäre, ins urgroßväterliche Haus. Nur dass auch das verkauft und inzwischen abgerissen ist. Anke Stelling und Jan Brandt suchen übrigens immer noch, war zu erfahren: „Nur falls Sie etwas wissen.“ 

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