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Letzte Potsdamer Premiere vor dem Lockdown: Wo aus schwarzen Wänden Himmel wird

Noch einmal ging der Lappen hoch: "Maria Stuart" in der Regie von Alice Buddeberg zeigt als letzte Potsdamer Premiere vor dem Teil-Lockdown, was in den kommenden Wochen fehlen wird.

Potsdam - Es gibt Momente an diesem Abend, die rühren am coronagebeutelten Gemüt, dass es wehtun kann. Irgendwann kurz vor der Pause in dieser "Maria Stuart" ruft Paulet, ritterlicher Hüter der gefangenen Königin von Schottland: "Der Lappen muss hoch!" 

Es ist der Moment, in dem Maria ein letztes Mal an die frische Luft gehen darf, bevor sie dann wieder im Verließ verschwinden wird, auf Nimmerwiedersehen. In der Inszenierung von Alice Buddeberg, der letzten Potsdamer Premiere vor dem Teil-Lockdown, kurbelt Guido Lambrecht als Paulet selbst den Lappen hoch: Über dem bis dahin düsteren Bühnenhintergrund öffnet sich unverhofft ein traumhaft heller Himmel. Herrliches Blau. Janine Kreß als Maria tollt davor wie ein Kind.

Betörende Momente des Aus-der-eigenen-Welt-Tretens

Ab Montag wird der Lappen bekanntlich erst einmal nicht mehr hochgehen in Deutschland. Die Bundesregierung hat im Kampf gegen die Corona-Pandemie die Schließung von Theatern, Kinos, Konzertsälen bis Ende November angeordnet, unter dem Protest vieler Kulturschaffender und Institutionen. Was natürlich nicht heißt, dass sich nun die Kerker auftun. 

Und dennoch: Alice Buddeberg hat ein Bild dafür gefunden, was in den nächsten Wochen fehlen wird. Jene betörenden Momente des plötzlichen Aus-der-eigenen-Welt-Tretens, die nur Live-Kultur schaffen können. Das Staunen, wenn da, wo eben noch drei schwarze Wände waren, plötzlich Licht ist, offener Himmel. Und Vogelgesang, der umso schöner ist, weil er von Guido Lambrecht als Paulet selber kommt: um für Maria die Illusion perfekt zu machen. Ein Liebesbeweis.

Eine Regie, die Schillers Sprache und den Konflikt ernst nimmt

Die Inszenierung von Alice Buddeberg also weiß, was hier auf dem Spielt steht: für Schillers Maria und auch für das Publikum. Und ihr Theater weiß, dass es nur Theater ist, trägt es aber nicht vordergründig vor sich her. Schillers Sprache und der moralische Konflikt, um den es ihm geht, werden geradezu getragen ernst genommen; dafür braucht der Abend auch beinahe drei Stunden, gönnt sich eine Pause. 

Kann sich eine Mächtige dazu durchringen, gnädig zu sein gegenüber einer anderen, die ihr diese Macht abspenstig machen wollte? Wie geht Englands Königin Elisabeth I. damit um, dass das Schicksal der schottischen Königin Maria in ihren Händen liegt? Darum geht es hier. Und zum Glück nicht, wie in der Potsdamer Arbeit von Petra Luisa Meyer von 2008, um die Konkurrenz zweier Frauen: jung gegen alt, sexy gegen möchtegernsexy.

Maria vorne, Elisabeth hinter Plexiglas, beide isoliert

Schon die durchaus coronakonforme, plexiglasgeteilte Bühne (Martina Küster) zeigt, wem hier die Sympathien gelten. Janine Kreß als Maria sitzt vor dem Eisernen Vorhang an der Rampe: bei uns. Eine nach außen würdige, nach innen mit sich und der Vergangenheit (ihren toten Ehemännern) Ringende. Eine Stimme wie schwarzer Samt; Tragödin pur. Ein Tonband mit melancholischen Klaviermelodien steht für die Briefkorrespondenz mit den fernen Verbündeten und zeigt: von denen ist keine Antwort zu erwarten. Eine Frau in völliger Isolation. Nur Paulet darf hier poltern, in scheppernder Ritterrüstung: ein Don Quichotte und Tollpatsch (wie alle Männer hier), aber wirklich treuer Hüter (wie keiner sonst). 

Kristin Muthwill als Elisabeth ist lange nur von Ferne zu sehen, weit hinten hinterm Plexiglas: in ihrer eigenen Isolation. Umgarnt von höfischer Entourage, lauter Männer in Röcken: Der ehrgeizige Burleigh (Jan Hallmann), der darauf dringt, sich dieser Maria endlich zu entledigen. Der alte, im Rollstuhl sitzende Talbot (Jon-Kaare Koppe), der auf Gnade drängt. Graf von Leicester (René Schwittay), Opportunist und Günstling der Königin, der sagt: Wozu Maria töten, sie ist doch schon tot. Und der französische Gesandte (Paul Sies), der den Tanzbären für Elisabeth macht und sie mit ihrem König vermählen will.

Die unnahbare Fratze der Macht

Elisabeth scheucht sie weg wie lästige Fliegen, will eigentlich nur Feuer (was keiner hat). Sie trägt sie unnahbare Fratze der Macht, einen übergroßen Kopf aus Pappmaché, später holt er sie von allen Seiten ein. Da, wo sie spitz, spöttisch, überheblich, öffentlich ist, ist sie Karikatur. Nur wenn sie ans Glas tritt, Maria beinahe berührt, scheint sie bei sich. Dann ahnt man, was diese Frauen sein könnten, sie in den schwarz-weißen Kostümen schon sind: Schwestern. Zwei Seiten eines Seins. Die eine mit Macht, die andere ohne. Es unterscheidet sie ein gelber Rock, sonst nichts.

Vor der Pause scheint dieses Einverständnis einen Moment lang möglich. Nach der Pause überlegt die Regie es sich anders, warum? Vermutlich, weil es so auch bei Schiller steht. Maria muss weg. Aber es wirkt, als wüsste auch die Regie nicht so richtig, wie das nach so viel Nähe noch möglich sein soll: Also wird viel gerannt und gerufen und gepoltert, bis Maria sich den Tod am Ende selbst um den Hals malt. Eine rote Linie, mehr nicht. 

Die zweite Vorstellung am 31.10. ist bereits ausverkauft, für die vorerst letzte Vorstellung am 1.11. um 15 Uhr gibt es noch Karten.

Lena Schneider

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