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Der letzte Roman der Reihe: "bestenfalls alles".

© promo

Lesung von Tania Witte: Her mit der schönen Identitätskrise

Tania Witte liest im studentischen Kulturzentrum Kuze aus „bestenfalls alles“, dem letzten Teil ihrer Roman-Trilogie

Es geht um das Suchen, das Finden - und um den menschlichsten Schatz des Lebens: die Liebe. Nein, keine Angst, von dem romantisierenden Blickwinkel eines Groschenromans ist Tania Witte auch im letzten Teil ihrer Berlin-Trilogie mit dem Namen "bestenfalls alles" weit entfernt. Vielmehr verkehrt sie die emotionalen Ebenen auf ein ironisches Level: Die überzeichneten Figuren ihres Romans sind so surreal liebenswert, dass man sich schnell mit ihnen identifizieren kann. Am Montag liest die Autorin und ZEIT-Kolumnistin aus ihrem Buch im studentischen Kulturzentrum Kuze.

Nach den beiden Romanen "beziehungsweise liebe" und "leben nebenbei" ist abermals Berlin zentraler Ort in Wittes Oeuvre, ein schrilles Potpourri schräger Persönlichkeiten, deren gelebte Homosexualität sie keinesfalls zu Exoten macht. Hier wird keine Parallelwelt skizziert, sondern ein wortgewaltiges Miteinander in waschechten Identitätskrisen. Das mag zunächst abschreckend klingen, ist aber das Gegenteil: Tania Witte beschreibt in ironisch verdichtetem Duktus einen Roadtrip zur Erkenntnis, dass der Weg zu sich selbst mit Stolpersteinen gepflastert ist.

Im Zentrum der Handlung steht Tekgül Carragher, halb Irin, halb Türkin, ausgestattet mit einem Abonnement zum Glücklichsein: Die Personifizierung des großstädtischen melting pots sieht gut aus und ist erfolgreich, beschließt aber, ihren viel versprechenden Modeljob an den Nagel zu hängen, als die Zusage für einen Studienplatz an der Berliner Kunsthochschule eintrudelt. Diese Steilvorlage zur Lebensänderung nutzt sie aus, um völlig neu zu beginnen: "Die Not ist in diesem Moment nicht im Außen zu finden, denn da ist in der Tat alles großartig. In Not ist Tekgül selbst, und sie begreift, in diesem ebenso intimen wie alltäglichen Augenblick, dass sie alles ändern muss. Will. Wird."

Her mit der schönen Identitätskrise, die sich so hübsch anbahnt: Die kommt allerdings nicht durch die harsche Welt voller Vorurteile und kultureller Unterschiede, mit der Tekgül sich herumschlagen muss, sondern setzt im geschützten Raum ein. Die Reise zu ihrer Familie führt sie nach Unna, Topos der Geborgenheit, ein Kaff, das beschützend auf sie einwirkt - nicht Istanbul, nicht Cork, erst recht nicht Berlin kann ihr diese beschützende Wärme geben. Doch gerade dort lauert die Erschütterung - ihre multikulturelle Identität ist nichts anderes als ein Fake, stellt sie dort fest: "Pathos ist üblicher Unterton im Familienkanon, aber was hier passiert, verstößt gegen alle Regeln. Erst die überschwängliche Begrüßung, das kaum erwähnenswerte Echo auf ihre neue Frisur, der enthusiastische Small Talk und schließlich ihre beiden Lieblingssüßigkeiten auf dem Tisch. Dieses Zittern in der Stimme ihres Vaters und die Augen der Mutter, die sie nicht zu greifen bekommt." Tekgül erfährt, dass sie adoptiert wurde und eigentlich ganz profan Franziska Yvonne heißt. Tränen. Enttäuschung. Lügen, die an die Oberfläche dringen. Beste Voraussetzungen also, um sich selbst neu definieren zu können.

Aus Tragik entstehen die größten komödiantischen Momente, das weiß auch Tania Witte. Dass sie dabei mit Klischees und Stereotypen jongliert, macht die Lektüre so unglaublich liebenswert, mitreißend und leidenschaftlich, dass man gar nicht mehr aufhören zu lesen will - bis man sich  dabei ertappt, dass man sich selbst so pittoreske Identitätskrisen herbeiwünscht.

Tania Witte: "bestenfalls alles", Querverlag Berlin, 288 Seiten, 14,90 Euro. Lesung am Montag, 8. Dezember, um 19.30 Uhr im Kuze, Hermann-Elflein-Straße 10. Der Eintritt ist frei

Oliver Dietrich

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