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Autorin Anke Stelling liest am 3. Juni in Potsdam.

© Sebastian Willnow/dpa

Lesung in Potsdam: "Schäfchen im Trockenen": Anke Stelling piekt in Wunden der Mittelschicht

Die Autorin Anke Stelling stellt im Potsdamer Viktoriagarten ihr aktuelles Buch "Schäfchen im Trockenen" vor, das ein lauter, wütender Monolog ist.

Von Sarah Kugler

Potsdam - Resi ist wütend. Auf Freunde, die sich plötzlich abmelden, auf die Tante, die ihre Augenbrauen kritisch hochzieht und auf all die Eltern, die ihren Kindern keine Fragen beantworten. Diese Wut schreibt sie auf. In einem Text, der an ihre Tochter gerichtet ist und in dem sie alles los wird, was sie im Alltag nicht sagen kann.

Anke Stellings Roman „Schäfchen im Trockenen“, den sie am Montag in der Buchhandlung Viktoriagarten vorstellt, ist kein Wohlfühlbuch. Keines, das einem hübsch literarisch verpackt den Spiegel vorhält. „Schäfchen im Trockenen“ schreit seine Leser an. Laut, zum Teil auch wirr, nicht selten selbstbemitleidend und eigentlich immer auf sehr unangenehme Art. Und gerade diese Art macht dieses Buch zu einem einzigartigen Leseerlebnis. Weil sie zum Weiterlesen zwingt, Wegsehen nicht gestattet und immer wieder in Wunden der gesellschaftlichen Mittelschicht piekt.

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Resi, die Protagonistin des Buches, gehört zu dieser Mittelschicht. Sie ist Schriftstellerin, Mitte 40, verheiratet und hat mit ihrem Mann vier Kinder. Sie lebt in einer Wohnung, die eigentlich Freunde angemietet haben. Sie ist mietpreisgebunden, groß, perfekt für die Familie. Doch Resi hat es gewagt, in ihren Texten über ihre Freunde zu schreiben. Über deren Bauprojekt, über ihre Art, Kinder zu erziehen, über Geld. Prompt folgt die Kündigung der Wohnung – und der Freundschaft. Die direkte Konfrontation suchen Resis Freunde nicht, die Mietvertragskündigung kommt als amtliches schreiben, das Freundschaftsende von Freundin Vera als verfloskelter Brief. „Ich liebe dich“ steht da noch drin, aber ansonsten möchte sie in Zukunft bitte Abstand.

Ein lauter, wütender Monolog

Für Resi ist auch das ein Thema für ihren wütenden Monolog, den sie ihrer ältesten Tochter Bea schreibt. Damit sie es irgendwann mal besser machen kann im Leben, auf all die bescheuerten Probleme vorbereitet ist und sich vor allem nicht den Mund verbieten lässt. Denn Resi hat niemand aufgeklärt, dass etwa vier Kinder mit einem Künstlereinkommen kaum zu bewältigen sind. Ihre Mutter hat zu solchen Themen immer nur geschwiegen.

Nicht immer ist klar, ob es die fiktionale Protagonistin ist, die hier wettert oder nicht doch Anke Stelling selbst. Die Vermischung der beiden Stimmen thematisiert sie im Roman sogar selbst: „Ich bin die Protagonistin der Geschichte, außerdem noch die Erzählerin und obendrein Schriftstellerin von Beruf!“ Tatsächlich ähneln sich die Lebensläufe: Stelling ist 1971 geboren, hat immerhin drei Kinder und lebt im Prenzlauer Berg.Sie schreibt schon lange, aber erst ihr 2015 erschienener Roman „Bodentiefe Fenster“ wurde breiter wahrgenommen. Er stand auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. 

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Mit ihrem Roman „Fürsorge“, der 2017 erschien, bricht sie ein Tabuthema, indem sie über eine amouröse Mutter-Sohn-Beziehung und damit ein sehr feinfühliges, kluges Porträt über Einsamkeit in der gegenwärtigen Gesellschaft schreibt. Für ihre „Schäfchen im Trockenen“ erhielt sie auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse nun den Belletristikpreis.

Lasst uns brüllen

Es ist ein fiebriger Roman, den Anke Stelling geschrieben hat. Im Ton so ganz anders als etwa "Fürsorge" und selbst "Bodentiefe Fenster", an den sich "Schäfchen im Trockenen" anschließt, ruht als Text noch mehr in sich. Dieses Fiebrige nervt ab und zu, macht beim Lesen selbst wütend. "Lass gut sein", möchte man Stelling sagen, wenn sie sich wieder beschwert, dass ihr niemand gesagt hat, wie das Leben läuft. Ein Satz, mit dem Resis Mutter immer ihre Fragen abgewimmelt hat. Auch das schulterzuckende "Weiß man doch" ihrer Freundin Friederike huscht öfter durch die Gedanken. 

Doch irgendwann kommt das Begreifen: Dass es eben nicht gut ist, dass eigentlich niemand etwas weiß und schon gar nicht wissen kann, wenn alle nur schweigen. Dieses lähmende Schweigen der Gesellschaft bricht Anke Stelling auf. Sie gibt dem stillen Leiden der Frauen, die irgendwo zwischen Familie, Karriere und Selbstbestimmung feststecken, eine Stimme. Eine wütende und laute, mit der wir alle mehr brüllen sollten.

>>Anke Stelling liest am 3. Juni um 20 Uhr im Viktoriagarten, Geschwister-Scholl-Straße 10, Karten kosten 7 Euro.

 

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