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Der Köllner Schriftsteller und Drehbuchautor Hanns-Josef Ortheil

© promo

Lesung in Potsdam: Die Methode Ortheil

Am Montag war Hanns-Josef Ortheil im Potsdamer Palais Lichtenau zu Gast. Thema war sein jüngster Roman.

Es ist der inoffizielle Auftakt zum Literaturfestival Lit: Potsdam: Hanns-Josef Ortheil, Schriftsteller und emeritierter Professor für Kreatives Schreiben an der Universität Hildesheim liest am Montag im ausverkauften Palais Lichtenau aus seinem jüngst erschienenen Roman "Die Mittelmeerreise".

Er weiß sein Publikum zu unterhalten

Seine Kritiker können Ortheil sicher einiges vorwerfen: Da wären beispielsweise dessen Vorliebe für mediterrane Settings oder die wiederkehrende Fokussierung auf das Thema Liebe, die ihm – vorsichtig ausgedrückt – als Redundanzen ausgelegt werden könnten. Ferner könnte ihm, ob der wiederholten Inszenierung der eigenen Biografie im erzählerischen Werk, eine Spur Selbstreferentialität attestiert werden. Zwei Dinge aber müssen auch seine schärfsten Kritiker anerkennen: Ortheil liefert mindestens einen Roman im Jahr und Ortheil weiß sein Publikum zu unterhalten.

So auch am Montagabend: Charmant und routiniert unterbricht er die Moderatorin, die der Versuchung erliegt, zu viel vom Plot und der Entstehungsgeschichte des abschließenden Bandes des Reise-Triptychons zu verraten. Mit "Moselreise" begann der Dreiteiler, dann folgte 2014 "Berlinreise" und dem schloss sich 2018 "Mittelmeerreise" an.

Auch der jüngste Roman basiert auf Reisetagebüchern

Erzähl- und Deutungshoheit obliegen dem Autor: "Hier haben Sie einen Text vor sich", doziert er, "der bereits im Jahr 1967 geschrieben wurde." Wie jeder Teil des Reise-Triptychons basiert auch die "Mittelmeerreise" auf Notizen und Berichten, die Ortheil auf den Wunsch seines Vaters hin und anlässlich gemeinsamer "Expeditionen aus dem Köln der Sechziger Jahre heraus" anfertigte. Eigenen Angaben zufolge sprach Ortheil als Kind lange Zeit nicht und wies auch im Schreiben Defizite auf. Dafür arbeitete er auf eine Konzertpianistenkarriere hin. Beim Durchsehen dieses Materials, so Ortheil, entdeckte er im Archiv seiner Eltern sowohl sein eigenes geheimes Tagebuch, als auch das seines Vaters, sowie einen Stapel Postkarten, die an die daheim gebliebene Mutter gerichtet waren. Aus diesen Fundstücken hat der Autor das erzählerische Grundgerüst seines vierperspektivischen Romans erbaut.

Und spätestens hier offenbart sich die Methode Ortheil: Die Arbeit an seinem erzählerischen Werk wird selbst zur Fiktion. Wie sonst ließe sich das urplötzliche Auffinden gleich zweier geheimer Tagebücher und eines Stapels Postkarten erklären, die für die poetologische Struktur des Textes essentiell sind? Durch die Inszenierung seiner Person arbeitet Hanns-Josef Ortheil schon zu Lebzeiten am eigenen Mythos. Um die Fallhöhe dieser Arbeit wissend, spielt er auf ebendiese ironisch an, wenn er spitzbübisch lächelnd "eine entscheidende Stelle in der Geschichte der Sturmliteratur" in seinem Werk überblättert, oder angesichts seines eigenen Textes konstatiert: "Was war ich für ein seltsamer Junge!" Diesen Konstruktions- und Dekonstruktionsstrategien zuzusehen unterhält das Publikum blendend. (Hanns-Josef Ortheil: "Die Mittelmeerreise", Luchterhand, 2018, 640 Seiten, 24 Euro)

Christoph H. Winter

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