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Kultur: Leidenschaft und Freiheitsdrang

Der türkische Pianist Fazil Say spielt morgen im Nikolaisaal auch eigene Musik – die reflektiert, was gerade los ist in der Türkei

Es gibt eine Geschichte, die viel über den türkischen Musiker Fazil Say erzählt. Als er noch als Student eine Freundin bei einem Vorspiel auf dem Klavier begleiten sollte, weigerte sie sich. Weil sie befürchtete, in seinem Schatten zu verschwinden. Schon da zeigte sich, dass in dem jungen Mann eine musikalische Ausnahmeerscheinung steckte. Fazil Say hat nicht nur viele Meilensteine der Klaviermusik gespielt, ist als Jazzpianist unterwegs und hat reichlich Preise gewonnen. Schon seit seinen Teenagerjahren komponierte der 47-Jährige, bis heute sind es 65 Kompositionen. Im Potsdamer Nikolaisaal tritt er am Sonntag mit einem eigenen und einem Klavierkonzert von W. A. Mozart auf und führt eine eigene, brandneue Chamber Symphony auf. Das Motto des Konzerts, „alla turca“, kann ruhig mehrdeutig gelesen werden. Es ist eine gelehrte Anspielung auf eine musikalische Mode im 18. Jahrhundert, als viele Komponisten gerne einmal etwas „Türkisches“ in die Kunstmusik einführten. Mozarts türkischer Klaviermarsch zeugt davon ebenso wie zahlreiche Opern. Was damalige Komponisten begannen, setzt Fazil Say in unserer Zeit fort.

Vor 200 Schülern gab es gestern Vormittag schon einmal eine Kostprobe zu erleben. Kaum haben die Musiker der Kammerakademie Potsdam im Nikolaisaal ihre Instrumente eingestimmt, kommt Fazil Say auf die Bühne. Anders als vorgesehen, möchte er das gesamte Mozart-Klavierkonzert A-Dur einmal durchspielen. Es ist zwar nur eine Probe, aber welch runde, füllige Töne er aus dem Steinway herausholt, wie ansprechend er Akzente setzt, ist beeindruckend – und erreicht sogar die aufmerksam lauschenden Schüler. Bei den ersten beiden Sätzen der Chamber Symphony für Streichorchester zeigt sich die schöpferische Musikalität von Fazil Say in voller Reife. Er selbst nennt die 2015 entstandene Komposition, die vollständig von türkischer Musik inspiriert wurde, „vielleicht sein bestes Werk“. Dass Fazil Say kein abstrakter Komponist ist, sondern etwas erzählen möchte, zeigt sich hier erneut. Die Chamber Symphony stellt seine „persönliche Auseinandersetzung mit den komplexen Geschehnissen in der heutigen Türkei dar“. So verwendet der erste Satz einen für europäische Klassikohren ungewöhnlichen Rhythmus mit sieben Schlägen aus der archaischen türkischen Musik. Vielstimmig ist die Musik außerdem, selbst die ersten Geigen sind mehrfach unterteilt – eine besondere Herausforderung für die Musiker. Ein langsamer Mittelteil evoziert nach den Worten des Komponisten nostalgische Gefühle ans alte Istanbul. Es folgt ein ruhiges Nocturne mit süffigen, orientalischen Klängen, das „die Notwendigkeit von Romantik auch in unserer Zeit hervorheben“ möchte. Da darf das Cello schon mal wie ein Duduk klingen, ein aus Armenien stammendes Holzblasinstrument, perfekt für Gefühle der Klage und der Trauer.

Auch in seinem Konzert „Silk Road“ baut Fazil Say Brücken zwischen den Kulturen und den Zeiten. In diesem ebenfalls am Sonntag erklingenden Werk bilden das Klavier und das Orchester eine Karawane, die gemeinsam durch China, Indien, Mesopotamien und in die Türkei reist. Auch hier erweist sich der Künstler als Erzähler mit profundem historischem Bewusstsein. Seine Musik weckt Sehnsüchte nach vergangenen Zeiten und öffnet zugleich Türen für Neues. Dahinter steht ein wacher Geist mit Leidenschaft und Freiheitsdrang. Dass Fazil Say auch schon mit den Gerichten in seiner Heimat in Konflikt geraten ist, verwundert nicht. Nach einem langjährigen Prozess wegen angeblicher Verunglimpfung religiöser Werte wurde er erst 2016 freigesprochen. Für sein Engagement im Dialog der Kulturen erhielt Fazil Say im Dezember 2016 den Internationalen Beethovenpreis für Menschenrechte, Frieden und Freiheit. Babette Kaiserkern

„Alla Turca“, morgen, am 12. März, um

18 Uhr im Potsdamer Nikolaisaal

Babette Kaiserkern

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