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Geballte Kraft. Ein Tanzensemble um Anja Kozik probt „Herr der Fliegen“.

© André Looft

Kunstfestival für Inklusion am Waschhhaus: Wofür der Duden keine Wörter hat

Vom 21. bis 23. September findet im Potsdamer Waschhaus die zweite Ausgabe des Inklusionsfestivals "bewegend anders" statt. Es will gegen Vorurteile und Berührungsängste gegenüber Menschen mit Behinderung mobil machen - spartenübergreifend

Manchmal kommen Alpträume auf polternden Flamencosohlen daher. In „Herr der Fliegen“ von Anja Kozik ist das so. Da umzingeln zwei Tänzerinnen in Flamencoschuhen ein schlafendes Mädchen auf dem Sofa, beäugen es. Immer, wenn das Mädchen die Augen öffnet, ducken sich die Tänzerinnen hinter der Sofalehne weg – bis sich das Mädchen traut, aufzustehen, den Platz wechselt, und von einem anderen Sessel zurückguckt. Ganz geradezu, ohne Angst. Die beiden Tänzerinnen ducken sich unter dem Blick weg, gesehen werden sie trotzdem: Der Alptraum hat die Seiten gewechselt. Mühsal und Triumph einer Emanzipation, destilliert in wenige Augenblicke.

„Herr der Fliegen“ wird am 22. September Premiere feiern – im Rahmen des Festivals „bewegend anders“, Untertitel: „Potsdamer Kunstfestival für Menschen mit und ohne Behinderung“. Es findet vom 21. bis 23. September im Waschhaus statt. Koziks Choreografie ist eine Arbeit mit neun Schauspielern mit und ohne Handicap. Es ist der Versuch, Berührungsängste auszuräumen, die Unterschiede zwischen beiden verschwinden zu lassen, wie Anja Kozik es im Rahmen des gestrigen Pressegesprächs beschreibt. Auch Juliane Götz ist im Ensemble dabei, die man bereits öfter nebenan im Hans Otto Theater sah, wo sie 2009 bis 2013 Ensemblemitglied war.

Was passiert, wenn man ins Nichts geworfen wird?

Jetzt ist Götz Teil des Ensembles um Anja Kozik, zusammen mit Menschen mit Behinderung und Studierenden der Fachhochschule Clara Hoffbauer, Studiengang „Tanz und Bewegung“. Vier Wochen haben sie alle bereits miteinander geprobt. Die Vorlage von William Golding wollen sie nicht nacherzählen, sondern einige Themen der Geschichte aufnehmen. Die Frage zum Beispiel, „was passiert, wenn man ins Nichts geworfen wird und schauen muss, wie man darauf reagiert“, sagt Kozik in Anspielung auf die Ausgangssituation des Romans: eine Gruppe Kinder, die auf einer Insel ganz auf sich gestellt ist.

Der Roman endet grausam, bei Anja Kozik wird das anders. Im Probenverlauf befragten sich die Tänzer: Was ist uns eigentlich wichtig? „Wir haben viel über Selbstwahrnehmung und Außenwahrnehmung gesprochen“, sagt Kozik. Eine der jungen Frauen mit Behinderung berichtete, was passiert, sobald sie von ihrer Behinderung erzählt: Sie wird sofort wie ein Kind behandelt. Obwohl sie keines ist.

Mit geballter Kraft gegen Vorurteile

Vorurteilen wie diesen will das Festival drei Tage lang mit der geballten Kraft verschiedener künstlerischer Genres entgegenwirken. Potsdamer mögen sich erinnern: 2015 gab es schon mal ein Festival unter diesem Namen. Damals war als internationaler Gast der renommierte Choreograf Jérôme Bel zu Gast. Nach zweijähriger Pause, nachdem es den Machern erneut gelungen ist, Aktion Mensch mit ins Boot zu holen, geht das Festival nun in die zweite Runde. Die Macher sind das Kulturhaus Babelsberg und das Waschhaus.

Nicht nur Tanz wird es geben – neben der Festivalproduktion als extra Gast aus Sevilla: die Company Danza Mobile mit „Helliot“ –, sondern auch: bildende Kunst, Konzert, Film, Märchen, Zirkuskunst, ein umfangreiches Workshop-Programm. Die bildende Kunst ist gleich zweifach vertreten. Zum einen zeigt der Fotograf André Looft 30 Porträts von Menschen mit und ohne Handicap. Sie alle sind im Moment einer Entdeckung festgehalten: Während sie sich selbst in einer Fotobox ansehen. 

Eine Fotoausstellung zeigt Menschen mit Behinderung und ohne 

Die Ausstellung mit dem Titel „Selbstbestimmt, pur, authentisch“ wird am 21. September eröffnet und ist vier Wochen lang zu sehen – und zwar im gesamten Waschhaus, „da, wo die Leute feiern“, wie Anja Kozik sagt. Auch das eine Inklusionsgeste. Die zweite Ausstellung, „mockulig!“ ist ab 22. September im Kesselhaus zu sehen. Sie stellt Wörter vor, die autistische Kinder der Oberlinschule erdacht haben. Um dem Facettenreichtum ihrer Welt beizukommen, für die der Duden keine Entsprechungen kennt.

Wer sich im Übrigen fragt, wie nachhaltig Festivals wie diese sein können, der sollte am Eröffnungsabend zum Konzert der Band Norbert gehen. Sie gründete sich im Rahmen des Vorgängerfestivals 2015 – und besteht noch heute. Lena Schneider

„bewegend anders“, vom 21. bis 23. September im Waschhaus, Schiffbauergasse 6. Das vollständige Programm finden Sie unter www.bewegendanders-festival.de

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