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"Time, Tempo. Homage to JDD" (2015) von Helen Berggruen, zu sehen in der Villa Francke.

© Repro: Helen Berggruen

Kunst von Helen Berggruen in der Villa Francke: Etwas, das bleibt

Die Lehrmeister von Helen Berggruen sind Matisse und van Gogh – deren Werke ihr Vater, der Kunstmäzen Heinz Berggruen, einst sammelte. Jetzt stellt sie erstmals in Potsdam aus. Auch der Ort ist eine Entdeckung: die Villa Francke.

Irgendwann während des Rundgangs sagt Helen Berggruen plötzlich: Wir leben ja in schwierigen, herausfordernden Zeiten. Da haben wir gerade ihre Gärten, Fenster und Himmel angesehen und darüber gesprochen, dass ihre Motive so erstaunlich zeitlos, gewissermaßen ewig sind – eine Beobachtung, die Helen Berggruen freut. Ihre Stillleben sind immer in ganz konkreten Situationen entstanden, aber was sie in den Alltagsszenen sucht, ist eine größere Dimension. Etwas, das bleibt. Schönheit spielt dabei eine wichtige Rolle. Ihre Bilder wollen gefallen, nicht verstören.

Von schwierigen Zeiten ist in der Ausstellung „Interiors-Exteriors“, die gestern in der Villa Francke eröffnete, auf den ersten Blick nichts zu sehen. Helen Berggruen, die Tochter des Kunstmäzens Heinz Berggruen (1914–2007) zeigt in kräftigen Farben blühende Sommergärten, von herbstlich-gelben Platanen umsäumte Straßen irgendwo in Zentralamerika oder farbsatte Interieurs aus Südfrankreich, mit Schnittblumen in Rot oder Weiß, auffällig gemusterten Teppichen, Sofas und Vorhängen. Eine gemütliche Welt eigentlich – wenn nicht die Farben immer wirkten, als würden sie beben, sich in Wellen über das Papier bewegen. Und oft öffnet sich im Bildhintergrund ein Fenster, gibt den Blick frei auf eine Landschaft, auf Dächer oder Himmel. So behaglich die gezeigten Welten wirken – sie erzählen immer auch von der Sehnsucht nach einem Anderswo.

Die Blumen von van Gogh, die Landschaften von Cézanne

Und natürlich erinnern sie an die Bilder, die ihr berühmter Vater sammelte und ausstellte: die Blumen von van Gogh, die Landschaften und Himmel von Cézanne – jenem Maler, dessen Heimat das Licht Südfrankreichs war, wo auch Helen Berggruen ein Atelier hat. Und die Interieurs, oft Vasen vor Fenstern, von Matisse. Van Gogh und Matisse nennt Helen Berggruen ihre wichtigsten Lehrer. Beider Bilder sind in dem Museum Berggruen in Berlin vertreten, wo die Sammlung von Heinz Berggruen heute zu sehen ist. 1996 verkaufte er sie zu günstigen Konditionen an seine Geburtsstadt.

Aber mit der Sammlung des Vaters hat ihre Leidenschaft nur bedingt zu tun, sagt Helen Berggruen. Ihre Eltern trennten sich bald nach ihrer Geburt im Jahr 1945. Heinz Berggruen, ein gebürtiger Berliner, der als Journalist jüdischer Herkunft nicht mehr in Deutschland arbeiten konnte, war 1936 in die USA emigriert. Dort hatte er 1939 Lillian Zellerbach geheiratet, Helen Berggruens Mutter. Aber Heinz Berggruen wurde in den USA nie heimisch – es sei ihm einfach nicht gelungen, Amerikaner zu werden, soll er gesagt haben. Also ging er nach Kriegsende zurück nach Europa, wo er in Paris eine Kunstgalerie aufbaute und die folgenreiche Bekanntschaft von Picasso machte. 

Erst spielt sie bei Robert Wilson, dann macht sie ihr Hobby zum Beruf

Seine Tochter Helen blieb derweil in den USA, zu ihrem Vater hielt sie vor allem in Briefen Kontakt. Ihr Verhältnis beschreibt Helen Berggruen als „ziemlich formell“. Erst viel später, als längst erwachsene Frau, kommen die beiden einander wieder näher. Als sie, die zunächst als Schauspielerin arbeitete – mit dem stilprägenden Regisseur Robert Wilson –, in Paris gastiert, sieht er sich das an. Und als sie in den späten 1970er Jahren entscheidet, ihr Hobby zum Beruf zu machen, unterstützt er sie. Sie wird Malerin. Und ihr Vater mag ihre Arbeiten. „Das bedeutete mir sehr viel“, sagt sie.

Aus einer, die auf der Bühne beobachtet wird, wird somit eine Beobachterin. „Das Publikum ist aber für mich wichtig geblieben“, sagte sie. Sie malt Bilder, die man sehen, mit denen man leben soll. Sie sucht den Austausch. In der Villa Francke hängen ihre Werke alle in einem Raum, in Petersburger Hängung: nahe neben- und übereinander. Durch die großen Fenster kann man in den großzügigen Garten sehen – früher mal bis zum Schloss Sanssouci. Das war dem Berliner Holzhändler Carl Francke wichtig, der sich hier seinen Sommersitz errichten ließ. Die Villa, 630 Quadratmeter Wohnfläche, wurde 1873/74 von Reinhold Persius erbaut. Peter Behrens sorgte 1911 für klare Linien und mehr Licht.

An einem Sommertag mit dem Fahrrad durch Potsdam

Dass die Villa jetzt erstmals der Öffentlichkeit zugänglich ist, ist dem neuen Besitzer Matthias Koeppel zu verdanken, der sie vor einigen Monaten von Francke-Nachfahren erwarb – und der keine Lust habe, sich zu verbarrikadieren. Wie oft spielen auch Bekanntschaften eine Rolle. Koeppel ist befreundet mit dem Galeristen Marcus Deschler, der 2014 bereits Bilder von Helen Berggruen ausgestellt hatte.

Als Helen Berggruen im Sommer die Villa besuchte, hat sie sich auch Potsdam vorgenommen. Nicht groß und in Öl, sondern klein und in Aquarell. Die Skizzen dazu entstanden an einem Tag, als sie auf dem Fahrrad durch Potsdam fuhr, die Farben kamen später im südfranzösischen Atelier dazu. So kommt es, dass hier nun auch Marmorpalais, Villa Schöningen und Glienicker Brücke zu sehen sind – als sommerleichte Antworten auf die großen Brüder in Öl. Denen wohnt auf den zweiten Blick oft eine ziemliche Schwermut inne. „Take us with you“, zum Beispiel, entstanden 2018. Im Vordergrund ein Zimmer, ein Tisch mit einem Buch. Die Perspektive zieht einen durchs Fenster hinaus, wo ein Flötenspieler erkennbar ist. Eskapismus? Bloß nicht, sagt Helen Berggruen. Aber die Fähigkeit, sich andere Orte vorzustellen, sei ja enorm wichtig – der Anfang aller Veränderung. Und dann sagt sie diesen Satz: Gerade in schwierigen Zeiten wie diesen.

„Interiors/Exteriors“, heute und morgen sowie bis 16.9. am Sa. u. So. von 12 bis 18 Uhr in der Gregor-Mendel-Straße 23

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