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Klick dich in die Kunst. In der Ausstellung „frame by frame“ ist das nicht nur erwünscht, sondern nötig.

©  Andreas Klaer

Kultur: Kunst von draußen

Eva Paulitsch und Uta Weyrich arrangieren in ihrer Ausstellung „frame by frame“ Handy-Filme

Soldaten stehen in einem Kreis. Sie halten ein Tuch, ziehen daran, wirbeln einen Mann in die Luft. Er fällt, wird wieder hoch geworfen. Ist es ein Spaß? Ist der Mann in Gefahr?

Hochhäuser, überstrahlt von fahlem gelben Licht. Ein bulliger Kampfhund, zähnefletschend und kläffend kommt er angerannt. Beißt er?

Ein Junge in einer Mülltonne. Er springt hoch, landet im Müll, wieder und wieder. Ein Loop.

Szenen aus Handyfilmen, die Eva Paulitsch und Uta Weyrich in einem Archiv von mehr als 1000 Sequenzen versammelt haben. Im Kunstraum des Waschhauses können Besucher nun einen Teil dieser zufällig entstandenen Impressionen unter dem Titel „frame by frame“ anschauen und auch mitnehmen. Denn Farbtafeln an der Wand, die auch eine neue Form konkreter Malerei sein könnten, sind tatsächlich „QR Codes“, quick response codes. Also Zeichen, die eine schnelle Reaktion ermöglichen. Gemeint ist die Reaktion des Mobiltelefons eines zufälligen Passanten auf das quadratische Feld, das auf Verpackungen, auf Bahn- und Flugzeugtickets sowie auf Informationsbroschüren prangt.

„Das ist nicht gemalt. Das sind C-Prints“, sagt eine der Künstlerinnen und zeigt auf die Wandbilder. Gelesen von einer Software, die kostenlos als Applikation aus dem Internet heruntergeladen werden kann, ermöglicht der Zeichencode den Zugang zu einem Film. Den haben die beiden Künstlerinnen auf einem Server gelagert. Scannt der Besucher den Code an der Ausstellungswand, läuft der Film auf seinem Handy ab. Wird er nicht aus dem Zwischenspeicher gelöscht, verbleibt er auf dem Mobilgerät, der Besucher nimmt den Film mit. Durch die Multi-Media-Inszenierung erscheint hinter der offensichtlichen Oberfläche der Ausstellung eine zweite Schicht, die es möglich macht, unmittelbar und dauerhaft an der Installation zu partizipieren. „Die Filme und die Handys sind für uns wie eine Leinwand“, sagt Uta Weyrich. Seit 2006 sammeln die Künstlerinnen für ihr Archiv. Auf der Straße, bei Partys, bei Festveranstaltungen sprechen sie Jugendliche und Passanten an, fragen sie nach Filmen auf ihren Handys. „Die sind dann erst einmal ziemlich erstaunt. Aber wenn wir erklärt haben, dass wir Künstlerinnen sind und die Filme für ein Projekt benötigen, klappt es meistens“, so Eva Paulitsch.

Im Kunstraum findet sich neben der Präsentation der QR Codes auch eine Installation aus milchigen Flächen, auf denen ebenfalls Filme aus dem Archiv der Künstlerinnen zu sehen sind. Auf 20 frei hängenden Rechtecken flimmern die bewegten Bilder. Philipp Contag-Lada hat diese Projektion arrangiert. „Wenn ich nicht mit dem Kunstprojekt unterwegs bin, baue ich Multimediainstallationen für Theater und Opern“, sagt der Multi-Media-Techniker über seine Arbeit. Was zunächst einmal ungeheuer kompliziert aussehe, sei an sich eine eher simple Anwendung des Strahlensatzes, den jeder Schüler in der 9. Klasse im Mathematikunterricht lerne. Im Ausstellungsraum allerdings entfaltet die abstrakte mathematische Formel in Form der Bilder ein verblüffendes Eigenleben. Eine Kaffeehauszene, nächtliche Straßenlichter. Kleine Geschichten entstehen im Kopf des Betrachters. Und Fragen. Worauf zielt der Mann mit dem Gewehr? Ist es ein Soldat? Zeigt das Dokument ein Verbrechen?

„Wir haben die Filme bearbeitet und einzelne Momente ganz bewusst aus dem Zusammenhang gerissen“, sagt Uta Weyrich. Nicht der dokumentarische Aspekt der Aufnahmen sei den Künstlerinnen wichtig. Die Aufnahmen seien aus dem filmischen Zusammenhang gerissen. Eva Paulitsch und Ute Weyrich haben die Schnipsel gekürzt, die Farben verändert, Ausschnitte gewählt, den Film geschnitten. Aber es entstehen trotzdem keine erzählten Geschichten. Erkennbar strukturierte Abläufe fehlen. Nicht die Narration war wichtig, sondern, wie bei einer klassischen Malerei, das Gesamtbild der Ausstellung. Das aber entsteht, aus den einzelnen Schnipseln zusammengesetzt, erst im Kopf des Betrachters.

Die beiden Künstlerinnen sind nicht die ersten, die Handyfilme für eine künstlerische Installation nutzen. Auf internationalen Kunstausstellungen lief das Video eines Mannes, der unmittelbar nach Aufnahmen mit dem eigenen Mobiltelefon erschossen wurde. Der chinesische Künstler AiWeiWei nutzt das Gerät gern, um mit entsprechend gefilmtem Material gegen seine Drangsalierung durch die chinesische Staatsführung mobil zu machen. Dennoch eröffnet das sorgfältige Arrangement der beiden Künstlerinnen, die in Stuttgart studiert haben und seit 2003 zusammenarbeiten, eine grundsätzlich neue Dimension der Kunst. Die häufig heruntergebetete Formel der „Verschmelzung von Kunst und Leben“, der Versuch der Kunst, aus dem Elfenbeinturm herauszukommen, von dem schon die Dadaisten träumten, die Vision, an der Warhol in seiner „factory“ gebastelt hat, als er Suppendosen auf die Leinwand drucken ließ, verliert ihre Angestrengtheit. Mittels der neuen Medien wird der Passant Teil des Arrangements und kann Teile des Kunstwerks in Form der Filme kostenlos und ungestraft aus der Ausstellung heraustragen.

Noch bis zum 7. April im Kunstraum in der Schiffbauergasse, mittwochs bis sonntags, 12-18 Uhr

Richard Rabensaat

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