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Kultur: Kunst oder Message?

Tanztage: Die kanadische Choreografin Daina Ashbee zwingt die Zuschauer mit „Unrelated“ in eine spannende Pattsituation

Jesus ist eine Frau, lernten wir beim Auftakt der diesjährigen Tanztage in der Choreografie von Marie Chouinard. „Der Garten der Lüste“ brachte damit ein Thema aufs Plateau, das die Tanztage in diesem Jahr stark beschäftigt: die Austauschbarkeit, oder zumindest doch die Dehnbarkeit, von Geschlechterrollen.

Die Choreografin Daina Ashbee aber, die zum diesjährigen Kanada-Fokus ihr am Donnerstagabend im T-Werk gezeigtes Stück „Unrelated“ mitbrachte, interessieren solche Gedankenspielchen nicht. Ashbees Stück beschreibt eine Welt, in der Frauen auf das reduziert sind, was sie von Männern unterscheidet: ihre Körper. Schon die permanente Nacktheit der Performerinnen sagt: Schaut auf diese verletzlichen Hüllen. Ashbee zeigt Frauen als Opfer, als Opfer von Gewalt. „Unrelated“ ist eine Anklage, und zwar eine sehr konkrete: 1017 indigene Frau wurden zwischen 1980 und 2012 in Kanada ermordet, ist im Programmheft zu lesen. Hunderte sind vermisst. 2013, so das Programmheft weiter, wies die Menschenrechtorganisation Human Rights Watch nach, dass oft auch die Polizei in Gewaltverbrechen an indigenen Frauen beteiligt ist. Diesen Frauen fehlen Schutzräume, Netzwerke, Anlaufstellen. Das will Ashbee anprangern. Bestenfalls ändern.

Ashbee gehört selbst dem Stamm der Métis an, einer jener Gruppierungen, deren Frauen überdurchschnittlich oft Opfer von Gewalt werden. Ashbees künstlerischer Zugriff ist radikal: In ihrem von zwei Frauen getanzten Duett „Unrelated“ sind die Männer als unsichtbare Dritte auf der Bühne dauerpräsent. Nicht als Liebhaber oder Partner, sondern als Aggressoren. Eine Szene relativ zu Beginn zeigt das eindrücklich, bestürzend in seiner emotionalen Wucht und Härte. Die Performerin Areli Moran kniet da, nackt, vornübergebeugt vor einer weißen Wand im Bühnenhintergrund. Das Gesicht ist unter den langen schwarzen Haaren verborgen. Morans gebeugter Körper zuckt wie unter unsichtbaren Stößen zusammen, bei jedem Stoß berührt ihr entblößter Hintern die Wand, mit dem Fuß verstärkt sie das Geräusch des Aufpralls. Der dumpfe Rhythmus, das Zucken, die Stellung auf den Knien: eine gnadenlose Szene der sexuellen Unterwerfung. Später wird Paige Culley, die zweite Performerin, unter unsichtbaren Schlägen ins Gesicht zusammenzucken. Und dazwischen immer wieder direkt ins Publikum schauen, lange, ruhig, unbewegt.

Das Stück ist auch eine Anklage gegen die, die von Gewalt wissen und nichts tun. An uns Zuschauer als stumme Zeugen. In einer Szene gegen Schluss treten die Performerinnen in den Zuschauersaal und reichen einzelnen Zuschauerinnen die Hände. Einige nehmen sie, halten sie lange, schweigen. Eine weigert sich. Ohne zu sprechen fordern die Performerinnen diese sichtbare Form der Verschwesterung ein, die Auflösung der Distanz zwischen Bühne und Saal – und somit vielleicht jene Verbindung, die der Titel sucht: „Unrelated“, das heißt nicht verwandt oder auch unverbunden. Ashbee will die Verbindung wiederherstellen, will nicht Tanz allein, sondern um jeden Willen eine politische Message – auch das Programmheft ruft zu Briefen an die kanadische Ministerin für indigene Angelegenheiten auf. Das ist offensiv, und in der Deutlichkeit und Drastik der Bilder, die Ashbee auf der Bühne findet, teilweise auch plakativ. Als aufmerksamkeitsfördende Maßnahme für die indigenen Frauen ist das stark. Als Tanzstück eher nicht. Was ist bei einem Tanzfestival nun wichtiger? Ein Punkt an die Tanztage für diese Pattsituation. Lena Schneider

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