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Kultur: Kunst in Schläuchen

Der österreichische Künstler Robert Gschwantner zeigt im Kunsthaus Reliquien künstlicher Landschaften

Er liebt Landkarten, die ungestörte Sicht auf Strukturen, die sich manchmal erst aus der Vogelperspektive herausschälen. Landkarten waren auch seine unentbehrlichen Begleiter, als er sich mit 18 Jahren aus seiner österreichischen Heimatstadt Steyr auf den Weg machte, um zu erkunden, was das Leben mit ihm vorhat. Robert Gschwantner brauchte mehrere Jahre, viele Orte und mancherlei Jobs, um in seinem jetzigen Künstlersein anzukommen, in seinen Schlauchteppichen und künstlichen Landschaften, die bis zum 17. Dezember bizarre Bilder und magische Spiegelungen ins Kunsthaus werfen.

Die Initialzündung hatte der entdeckungsfreudige junge Mann in Rom, wo er sich in einer Villa als Gärtner verdingte und ihn aus allen Ecken moderne und klassizistische Kunst ansprang. Bald begann er selbst, künstlerisch zu experimentieren, baute ohne Genehmigung an verschiedenen Orten der Stadt Installationen aus Glasbausteinen auf, fotografierte sie und baute sie wieder ab.

Bei einem Einkauf im Baumarkt entdeckte er schließlich dicke Rollen mit dünnen PVC-Schläuchen, die ihn sofort faszinierten. Schläuche muss man füllen. Na klar. Und so spritzte er verschiedenfarbiges Öl hinein, das sich sofort in „Glas“ verwandelte. Ein billiges Material wurde geadelt, Flüssigkeit bekam eine Form. Robert Gschwantner verwob diese Schläuche zu Teppichen, hinterlegte sie mit Collagen aus Filz und arbeitete innerhalb eines Jahres mit drei Galerien zusammen. Die durchsichtigen Plastikschläuche sind seitdem sein Markenzeichen.

In der Potsdamer Galerie Kunstverein Kunsthaus ist beispielhaft zu sehen, wohin ihn seine Schläuche in den vergangenen 20 Jahren trieben: in bislang acht ambitionierte Projekte, die die Schläuche auch ökologisch und politisch aufluden. So fischte er ausgelaufenes Öl von dem untergegangenen bretonischen Öltanker „Erika“ vom Meer und spritzte es ebenfalls in seine Teppiche.

Doch die Schläuche dienen ihm auch als Fesseln oder Haltegurt, die er sorgsam um seine schimmernden Kaleidoskope wickelt, um brüchige, sich spiegelnde Bildschichten, die versuchen, die Jahrhunderte zusammenzuführen. Wer näher herantritt, sieht sich auch selbst darin. Es wohnt ihnen ein surrealer Zauber inne, der nur vage zu fassen ist.

Es sind zwei Projekte, die der in Rom und Berlin lebende 49-jährige Bildmacher in Potsdam vorstellt. Das eine führt in eine antike Hafenanlage in der Nähe von Rom, die 112 nach Christi in Form eines Sechsecks angelegt wurde. Dass es sich dabei um eine künstliche Landschaft handelt, ist indes nur aus der Luft zu erkennen oder wenn man zu einer Landkarte greift. Der See ist jetzt in eine Parklandschaft eingebettet und es ist nur zu erahnen, welche großartige Ingenieur- und Architekturkunst in ihr verborgen ist. Gschwantner fuhr vor Ort und schöpfte Wasser aus diesem See. Er füllte es in seine Schläuche: als Reliquie dieser Landschaft. Gut zwei Monate Handarbeit stecken in einem der wassergefüllten Kunststoff-Teppiche, die als Bildwerke imaginär schillernd von der weißen Galerie-Wand fallen.

Gschwantner, der Reisende und Fäden zwischen den Welten und Zeiten Knüpfende, erzählt begeistert, wie er das funktionale Sechseck dieses einstigen Hafens bei Rom auch im Flughafen Tegel wiedergefunden hat. Ganz natürlich kommt es in Schneekristallen vor. Solche Brückenschläge und Parallelen faszinieren diesen sympathischen, sehr entspannt wirkenden Mann mit der weichen Stimme, der seinen Lebensinhalt gefunden hat, auch wenn es manchmal nur zum Überleben und weniger zum Leben reicht. Doch das Interesse der Galeristen ist groß.

Seine zweite ausgestellte Werkgruppe mit dem Titel „Childe Harold’s Pilgrimage“ führt ebenfalls nach Italien und bezieht sich auf ein Versepos des vor 200 Jahren lebenden englischen Dichters Lord Byron. Auch der war ein Reisender, der 1817 an den „schrecklich schönen“ Wasserfällen Cascata delle Marmore in Umbrien Halt machte. Dieses grandiose „Naturwunder“, das sich auf Knopfdruck auf ein Rinnsal eindämmen lässt, wurde in der römischen Antike geschaffen, um eine sumpfige Ebene trockenzulegen. Baumeister legten dazu ein Flussbett um. Die herabstürzenden Wassermassen, die heute zur Stromerzeugung genutzt werden, wurden von Dichtern und Malern immer wieder besungen. Ein Gemälde stammt von Johann Christian Reinhardt und hängt im Marmorpalais Potsdam.

Diese Entdeckung feiert Gschwantner mit einer eigens für Potsdam angefertigten Arbeit: Auf einem großen Schwarz- Weiß-Abzug des Reinhardt-Gemäldes „Nächtliche Sturmlandschaft“ aus dem 18. Jahrhundert hängt ein kleiner Bildkasten, auf den Robert Gschwatner weiße Kreise malte, die an „Schaumspritzer“ der Kaskaden erinnern. Auf der Rückseite ist eine Glasplatte angebracht, die die klassizistische Landschaft in Farbe spiegelt. Die Hälfte der Glasplatte ließ der Künstler unbemalt, um Blicke zu öffnen und wieder zu verstellen. Zwei konträre Kunstrichtungen, zwei unterschiedliche Epochen gehen eine Symbiose ein, gehalten von Schläuchen, die gefüllt sind mit dem selbstgeschöpften Wasser der Cascata delle Marmore. „Diese künstlichen Formen würde es in der Natur so nie geben. Sie wirken wie Fremdkörper und versprühen doch einen großen Reiz und Respekt vor der menschlichen Leistung.“ Irgendwann soll es eine Enzyklopädie der künstlichen Landschaften Europas geben: von Robert Gschwantner wasserschöpfend zusammengetragen.

Um bis ins Innere seiner künstlerischen Ideen vorzudringen, gibt es begleitende Videos und Texte. Doch ganz lassen sich die Schlauchgestricke dadurch nicht entwirren. Es bleibt das Geheimnisvolle des Auftauchens und Verschwindens.

Zu sehen bis 17. Dezember, im Kunstverein KunstHaus, Ulanenweg 9

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