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Intendantin Bettina Jahnke (r.) mit Chefdramaturgin Bettina Jantzen.

© Andreas Klaer

Kulturstadt Potsdam: Weiblich ja, feministisch vielleicht

Ob Musik, Museen, freie Szene oder Stadttheater: Potsdams Kultur ist Frauensache. Aber bringt sie auch Frauenthemen voran?

Potsdam - Auf die Frage, wie sie damit umgehe, seit 60 Jahren Potsdams erste Theaterintendantin zu sein, hatte Bettina Jahnke 2018 denkbar kurz geantwortet: „Eigentlich gar nicht.“ Für sie sei es Normalität. Dann aber kam ein Satz, der hängen blieb. „Potsdam ist generell eine weibliche Stadt.“

Potsdam, eine Stadt der Frauen? In der Kultur lässt sich sagen: Definitiv. Nicht nur das Hans Otto Theater, der größte Posten in Potsdams Kulturhaushalt, ist in weiblicher Hand – seit Ende 2018 ist mit Petra Kicherer auch die Geschäftsleitung weiblich, die Chefdramaturgin des Hauses sowieso. Haushaltsposten zwei und drei werden auch von Frauen geleitet. Für die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci und den Nikolaisaal führt seit 2018 Heike Bohmann die Geschäfte, Dorothee Oberlinger hat die Leitung der Musikfestspiele inne. Dem Potsdam Museum steht Jutta Götzmann seit 2012 vor.

Museen größtenteils in Frauenhand

Überhaupt, Potsdams Museen: Sie sind größtenteils in Frauenhand. Als das Potsdamer Stadtforum 2021 sechs Museumsleiter:innen der Stadt einlud, war darunter genau ein Mann: Kurt Winkler. Er geht Ende März in Ruhestand. Was aber heißt das für die Inhalte? Ortrud Westheider, die Gründungsdirektorin des Museums Barberini, sagte anlässlich des 5. Jubiläums ihres Hauses kürzlich, dass Malerinnen bislang keine herausragende Rolle im Programm gespielt hatten. Auch das Potsdam Museum hat noch nicht mit einem Fokus auf Künstlerinnen auf sich aufmerksam gemacht.

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Anderes deutet sich bei Christine Handke und Ilka Brombach an, die seit 2020 gemeinsam das Filmmuseum Potsdam leiten: Der März steht unter dem Titel „Womens March“ und widmet sich weiblichem Filmerbe. Katja Melzer, neue Geschäftsführerin der Brandenburgischen Gesellschaft für Kunst und Geschichte und Chefin des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte (HPBG), leitete zuvor in Montreal ein feministisches Medienkunstfestival. Wird dieser Schwerpunkt auch das HPBG künftig prägen? Ob das Frausein bei Maria Schultz, seit 2021 Leiterin der Stiftung Gedenkstätte Lindenstraße, oder Paola Malavassi, Gründungsdirektorin des Museums Das Minsk, eine Rolle spielt? Abwarten.

Mut zur Ausnahme

Die Kulturstadt Potsdam ist nicht erst seit 2018 eine Stadt der Frauen. Schon in den 1950er Jahren hatte Potsdam kulturpolitisch den Mut zur Ausnahme besessen: Damals, 1950 bis 1957, hatte Ilse Weintraud-Rodenberg das Hans Otto Theater geleitet. Das Filmmuseum Potsdam gäbe es heute nicht ohne dessen langjährige Leiterin Bärbel Dalichow. Andrea Palent erfand nach 1990 die Parkfestspiele Sanssouci konzeptionell neu und machte sie zu dem Publikumsmagneten, der die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci heute sind. Und sie kämpfte den Neubau des Nikolaisaals durch, prägte dessen Profil fast zwei Jahrzehnte lang.

Potsdams Kulturbeigeordnete bleibt diplomatisch

Potsdam als Kulturstadt ist also weiblich. Aber ist es auch eine Stadt, die die Anliegen von Frauen voranbringt – eine feministische? Kulturbeigeordnete Noosha Aubel (parteilos) formuliert diplomatisch: „Wir sind auf gutem Weg.“ Sie trat 2017 aus dem nordrhein-westfälischen Hilden kommend den Potsdamer Posten an und war beeindruckt davon, wie selbstverständlich es für viele hier war, dass eine Mutter von zwei Kindern einen zeitaufwändigen Führungsjob übernimmt. „In NRW herrschten eher tradierte Familienverhältnisse mit einem Vollzeitverdiener und einer allenfalls Halbzeit arbeitenden Mutter vor.“ 

Potsdams Kulturbeigeordnete Noosha Aubel.
Potsdams Kulturbeigeordnete Noosha Aubel.

© Ottmar Winter

Optimistisch stimmt sie als Feministin die Haltung des Stadttheaters. „Die Quote muss stimmen“, hatte Jahnke beim Antritt in Potsdam gesagt. Zur Einordnung: Eine Untersuchung ergab 2016, dass 70 Prozent der Inszenierungen an deutschen Theatern von Männern stammen. Bei der Regie-Quote ist Bettina Jahnke konsequent: Sieben von 14 Neuproduktionen in dieser Spielzeit werden von Frauen inszeniert. „Von allein kommt das nicht", sagt sie. „Wir gehen bewusst auch auf Stücksuche und schauen, dass unsere Frauen Großes, Schönes zu spielen bekommen.“ Bei den Autorinnen allerdings sieht die Quote nicht so glänzend aus: Unter den 14 neuen Stücken für Erwachsene befinden sich zwei von Frauen.

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Noch ist Potsdam nicht am Ziel

Zurück also zur Gretchenfrage: Ist die Kulturstadt Potsdam feministisch? Bei der Antwort zögert ausgerechnet die, die selbst am vehementesten dafür eintritt. „Potsdam hat gute Voraussetzungen“, sagt Bettina Jahnke vorsichtig. „Aber wir sind noch bei Weitem nicht da, wo wir sein müssten. Frauen mit Kindern, alleinstehende Frauen, Männer mit Kindern haben es schwer.“ Was Jahnke konkret umtreibt: Welche finanziellen Unterstützungen könnte es für Paare mit Kindern im Engagement geben? Wie Abendproben mit Schwangeren regeln? Wann werden Theater Babysitter bezahlen? „Das ist zuwendungsrechtlich nicht vorgesehen“, sagt Jahnke und spielt den Ball damit weiter an die Politik. „Da müssen gemeinsam Regelungen gefunden werden.“

Eine, die seit dreißig Jahren ein Potsdamer Theater in paritätischem Schulterschluss mit Sven Till leitet, ist Sabine Chwalisz. Eine ausdrückliche Quote gab es an der fabrik nie, aber schon in den 1990er Jahren prägte sie ein „paritätisches Denken“, sagt Chwalisz. Bei den Tanztagen 2022 sind drei Viertel der Gäste Frauen – nicht, weil sie Frauen sind, sagt Chwalisz, sondern wegen ihrer Themen. 

Auch Chwalisz freut sich über die weibliche Dominanz in Potsdams Kultur – und anders als Jahnke zögert sie nicht, diese auch als feministisch zu bezeichnen. Aber: Man müsse sich fragen, wie es zu der Diskrepanz zu anderen Bereichen komme. „Wo sind die Frauen in den Führungsetagen der Pro Potsdam?“, fragt sie. „Warum ist es offenbar leichter, Kulturposten mit Frauen zu besetzen als andere – in der Wirtschaft etwa? Ist das Zufall? Hat es Methode? Wer profitiert davon?“ Unbequeme Fragen. Der Frauentag, sagt Chwalisz, ist eine Mahnung, sich ihnen zu stellen. Jedes Jahr aufs Neue. 

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