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Ein Musiker in Mainz demonstriert für mehr Unterstützung während der Pandemie.

© Andreas Arnold/dpa

Kulturschaffende in der Coronakrise: Wie Künstler verzweifelt nach Perspektiven suchen

Trotz Förderprogrammen von Bund und Ländern bleibt vielen freischaffenden Künstlerinnen und Künstlern derzeit nur der Weg in die Grundsicherung.

Eigentlich war Janina Benduski immer Fan des Föderalismus. Nicht nur, weil er sich historisch bewährt hat. Sondern auch, weil er kulturpolitisch Sinn ergibt. Die Situation im Saarland ist eine andere als in Berlin, Bremen lässt sich kaum mit Bayern vergleichen. In den vergangenen Monaten aber sind Benduski erhebliche Zweifel am System gekommen. Was daran liegt, dass sie als Vorsitzende des Bundesverbands Freie Darstellende Künste (BFDK) und des Berliner Landesverbands (LAFT) seit Beginn der Pandemie täglich mit freischaffenden Künstlerinnen und Künstlern zu tun hat, die ihre Lebensgrundlagen wegbrechen sehen – und abhängig vom Wohnort hart oder weich fallen.

Sicher, auf dem Papier gibt es fast überall Hilfe für alle. Aus der Praxis allerdings, sagt Benduski, „erreichen uns fortlaufend Horrormeldungen von Menschen, die an der Realität verzweifeln“. Quer durch die Republik ist ein Patchwork der Programme entstanden, die den freischaffenden Kulturmenschen unter die Arme greifen sollen. Zum Teil wirksam und leicht zugänglich. Zum Teil so komplex aufgelegt, dass Expertenteams aus Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern bei der Antragstellung helfen sollten. Der große Aufschlag vom Bund, der die Dinge vereinfacht und vereinheitlicht, ist nicht zu erwarten – denn Kultur ist bekanntlich Ländersache. So jedenfalls lautet die gängige Argumentation. Durchs Raster rutschen vielfach jene Soloselbständigen, die Corona-bedingt in leere Kalender bis 2021 blicken. Und nicht wissen, wie sie ihre nächste Miete bezahlen sollen.

In Berlin hat die Krise für viele freischaffende Künstlerinnen und Künstler – und nur um die soll es hier gehen, obwohl natürlich auch der Friseur oder die Kioskbesitzerin Soloselbständige sind – noch mit einem mittelgroßen Hoffnungsschimmer begonnen. Das im März aufgelegte erste Soforthilfeprogramm, bei dem Freiberufler und Kleinstunternehmer 5000 Euro beantragen konnten, wurde so unbürokratisch und flott auf den Weg gebracht, dass in der Folge schon über den „Berliner Geldautomaten“ gespottet wurde.

Kultur ist bekanntlich Ländersache

Die Fragen kamen später. Und sie beschäftigen heute so einige Zuschussempfänger. Zum Beispiel, ob das Geld nur im Falle einer schon bestehenden Zahlungsunfähigkeit beantragt werden durfte – oder auch mit Blick auf mutmaßlich ausbleibende Honorare in Lockdown-Zeiten? Für Menschen in „akuter Notlage“ seien die Soforthilfen gedacht gewesen, antwortet der Kultursenat, ohne weiter ins Detail zu gehen. Die Investitionsbank Berlin (IBB), über die das Soforthilfeprogramm abgewickelt wurde, prüft momentan jedenfalls stichprobenartig, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Wer Honorarausfälle hatte, sollte das zumindest belegen können. Möglich auch, dass am Ende des Jahres das Finanzamt auf die Einkommenshöhe schaut – und im Zweifelsfall eine Rückzahlung des Zuschusses verordnet. Nichts Genaues weiß man.

Teilnehmer einer Demonstration mit dem Titel "Stumme Künstler" in Dresden.
Teilnehmer einer Demonstration mit dem Titel "Stumme Künstler" in Dresden.

© Sebastian Kahnert/dpa

Aber das sind im Vergleich Luxussorgen. Und sie betreffen nur die happy few. Denn die Berliner Landesmittel waren ansturmbedingt bekanntlich nach wenigen Tagen aufgebraucht. Ab da sprang der Bund in die Bresche, genauer: Das Bundeswirtschaftsministerium. Und die Sache wurde kompliziert. Denn im Gegensatz zur Soforthilfe des Landes dürfen die Bundesmittel ausschließlich für Betriebskosten verwendet werden – nicht für den Lebensunterhalt. Wie trennscharf das im Falle von Freiberuflern zu unterscheiden sein soll, bleibt dahingestellt. Wo hört der Mensch auf, wo fängt der Betrieb an?

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Wer Schwierigkeiten hat, laufende Kosten wie Miete oder Versicherungen zu bestreiten, weil Auftritte oder Engagements ausbleiben, muss jedenfalls Grundsicherung beantragen. Darauf hat auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters wiederholt verwiesen – und so getan, als hätten die Künstlerinnen und Künstler damit vor allem ein Prestigeproblem. „Das hat sehr viele Menschen wütend gemacht“, weiß Janina Benduski aus der Praxis. Denn es geht nicht um Statusfragen. Sondern um bürokratischen Irrsinn.

Ein Dokument des Grauens

Einmal mehr sieht die Lage auf dem Papier ganz einfach aus. Grundsicherung ist nicht Hartz-IV. Die Selbständigen dürfen ihre Wohnung behalten, es gibt auch keine Vermögensprüfung. Alles prima also? Harald Redmer weiß es besser. Das Vorstandsmitglied des Kulturrats NRW hat ein Papier zusammengestellt, das den Titel „32 Stimmen aus der Krise“ trägt und anonymisierte Erlebnisberichte von Soloselbständigen aus dem Kulturbereich bündelt. Es ist ein Dokument des Grauens.

„Sehr geehrte Frau …, vielen Dank für die Zusendung Ihrer Unterlagen. Ich habe von Ihnen einen Nachweis der Autoversicherung angefordert, da diese von Ihrem ‚Mitbewohner’ bezahlt wird. Im Jobcenter müssen Angaben gemacht werden, die den Tatsachen entsprechen. Jede Falschaussage kann mit einer Geldbuße geahndet werden“. Solche Briefe flattern denen ins Haus, die Grundsicherung beantragen.

„Ich lebe mit meinem Partner zusammen. Dieser hat noch einen Job“, berichtet eine Künstlerin. „Er bringt 1600 Euro in unsere nun als Bedarfsgemeinschaft bezeichnete Wohngruppe. Nun darf er auch nur noch 432 Euro haben. Dann sähe die Rechnung so aus: Ich hätte also 0,- Einkommen und müsste von 94 Euro 600 Euro Versicherungen bestreiten? Wie genau geht das?“.

Selig, wer Kurzarbeitergeld bekommt

Eine Alleinerziehende erzählt, dass das Bafög der studierenden Tochter, die bei ihr lebt, auf ihre Grundsicherung angerechnet wurde. Ihrem Protest, das Bafög sei doch für die Ausbildung gedacht sei, wurde entgegnet, die Tochter könne ja „in der Notlage das Studium ab- oder unterbrechen“.

Jobcenter kommen mit Ingenieurinnen oder Köchen klar, die arbeitslos werden. Aber offenbar nicht mit Menschen, die im Prinzip noch Arbeit haben, aber wegen der Pandemie ihrem Beruf nicht nachgehen können. Schlecht für die rund zwei Millionen Soloselbständigen in Deutschland, von denen viele gerade „Nachweise sämtlicher Renten- und Lebensversicherungen mit Angabe des aktuellen Rückkaufwerts“ zu erbringen versuchen. Harald Redmer fällt dazu nur ein Wort ein: „kafkaesk“.

26.06.2020, Hamburg: Ein Frau auf einer Demonstration in Hamburg.
26.06.2020, Hamburg: Ein Frau auf einer Demonstration in Hamburg.

© Axel Heimken/dpa

Selig im Vergleich, wer Kurzarbeitergeld bekommt. Wobei, wie Janina Benduski erzählt, aus der Politik gern angeführt werde, man dürfe das eben nicht vergleichen. Kurzarbeitergeld sei eine Versicherungsleistung aus Sozialbeiträgen. Keine Finanzspritze aus dem Steuerhaushalt. Aber was kümmert das die Bedürftigen? „Was bei den Soloselbständigen ankommt, ist das Gefühl, eine Arbeitsform zweiter oder dritter Klasse zu sein“.

Ping-Pong der Zuständigkeiten

Derweil spielen Bund und Länder Ping-Pong der Zuständigkeiten. Der Bund will nur in die Sicherung der kulturellen Infrastrukturen investieren. Für den Lebensunterhalt der Künstlerinnen und Künstler sollen die Länder sorgen. Die wiederum verweisen auf ihre leeren Kassen – wie kürzlich beim öffentlichen Schlagabtausch zwischen Monika Grütters und Klaus Lederer zu erleben war.

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Keine Frage, die meisten Länder bemühen sich nach Kräften um ihre Kulturschaffenden. Allerorten werden Stipendien ins Leben gerufen, auch Berlin legt gerade welche auf – in zwei Wellen werden 1000 Stipendien à 9000 Euro vergeben. Bayern dagegen hat für drei Monate das bedingungslose Grundeinkommen für Künstlerinnen und Künstler eingeführt, Baden-Württemberg für alle Soloselbständigen. In Nordrhein-Westfalen gibt es jetzt – nicht zuletzt auf Betreiben des Kulturrats NRW – eine sogenannte Überbrückungshilfe: 1000 Euro von Juni bis August, ebenfalls für alle Soloselbständigen. Allein – eine längerfristige Perspektive vermögen all diese Hilfsprogramme nicht zu bieten.

Und die vielbeschworene „Kultur-Milliarde“? Fällt davon nichts ab für die Freischaffenden? Zumindest nicht unmittelbar. Janina Benduski zitiert den Passus: „Die kleinen und mittleren Kulturstätten und Projekte sollen darin unterstützt werden, ihre künstlerische Arbeit wieder aufzunehmen und neue Aufträge an freiberuflich Tätige und Soloselbständige zu vergeben“. Existenzsicherung sieht anders aus.

Dennoch will Benduski nicht schwarz malen. Kürzlich war sie zu einer Sitzung im Kulturausschuss des Bundestages eingeladen. Sie traf dort auf Politikerinnen und Politiker, die durchaus kundig waren in Bezug auf die freie Szene – und die ein offenes Ohr für die Situation der Soloselbständigen hatten. „Der Wille zu helfen ist vorhanden“, bilanziert sie. „Es sind nur alle überfordert mit einer Situation, die so noch niemand erlebt hat“.

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