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Kultur in Potsdam: Wie man Klanggewitter aus den Fingern schüttelt

Bei der Edwin-Fischer-Akademie erproben Klavierschüler Meisterliches – zum 10. Mal schon.

„Und jetzt noch ein bisschen die Krallen ausfahren“, ermuntert Klavierprofessor Klaus Hellwig seinen Schüler. Zwei große schwarze Flügel stehen nebeneinander im Festsaal des Palais Lichtenau. Schon von draußen sind an diesem sonnigen Sommertag die Töne hörbar, immer wieder unterbrochen von der freundlichen Stimme des Professors, der Dinge sagt wie: „Du darfst den Bass nicht verschenken, weil dann die Glockenspiele darin viel besser schwimmen.“ Was für Außenstehende seltsam klingen mag, verstehen die Schüler der Edwin-Fischer- Akademie sofort.

Gerade ist Daniel Vincent Streicher dran. Er hört aufmerksam zu, was ihm erklärt und vorgespielt wird und versucht, alles gleich auf dem Steinway umzusetzen. Was gar nicht so leicht ist bei einem so schwierigen Stück wie dem zweiten Prélude aus Opus 23 von Sergej Rachmaninow. Der Russe war ja selber ein Tastenlöwe und schrieb hoch anspruchsvolle Partien. Doch Daniel scheint die extravaganten Klanggewitter, die nach Glockenspiel und Donnerwetter klingen, locker aus den Fingern zu schütteln. Er hatte das Glück, als einer von zehn aus 30 Anmeldungen von Professor Hellwig und Alexander Untschi ausgewählt zu werden.

Die Teilnehmer des diesjährigen Meisterkurses kommen aus aller Welt und sind zwischen fünfzehn und Ende zwanzig. Daniel ist der Jüngste von ihnen, aber schon ein Profi in der Szene, spätestens seit er mit zehn Jahren im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie ein Klavierkonzert von Mozart gespielt hat. Die Anzahl seiner Preise und Auszeichnungen füllen eine ganze Seite. Er spielt allein, im Duo mit seiner zwei Jahre jüngeren Schwester Tabea und macht Kammermusik. Den ersten Klavierunterricht erhielten die Geschwister von der Mutter, einer Pianistin mit ungarischen Wurzeln. Mindestens zwei Stunden täglich üben gehört zum Alltag, glücklicherweise gäbe es tolerante Nachbarn, sagt Daniel, der sich als überlegter Gesprächspartner erweist. Quasi nebenbei besucht er die elfte Klasse des Berliner Musik-Gymnasiums Carl-Philipp-Emanuel Bach. Ohne Musik könne er sich sein Leben gar nicht mehr vorstellen. Eine Karriere als Solist auf den Podien der Welt ist sein Traumziel.

Ob er mit dem Begriff Wunderkind etwas anfangen könne? „Nein, den Begriff mag ich nicht. Ich selbst würde mich nicht so bezeichnen. Allein schon, wenn man sieht, wie viele gleichaltrige Pianisten es gibt – das wären dann ja alles Wunderkinder“, so der junge Mann.

„In diesem Jahr feiert der Meisterkurs sein zehnjähriges Jubiläum“, sagt Alexander Untschi, der selber Pianist ist und damit die Tradition der Meisterkurse im Marmorpalais fortsetzen möchte. Dort hielt in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts der Virtuose Edwin Fischer gemeinsam mit Wilhelm Kempff und anderen Koryphäen berühmte Klavierkurse ab. Große Namen aus der Klavierwelt kamen bislang auch als Lehrer zu Untschis Meisterklassen, die nun im Palais Lichtenau ein Zuhause gefunden haben.

Diesmal leitet Klaus Hellwig, Professor an der Universität der Künste Berlin, den Kurs. Er lobt die tolle Organisation und die schönen Räumlichkeiten in Potsdam, einem Ort, dem er sich sehr verbunden fühlt. Nicht zuletzt, weil er selber noch als junger Mann an den berühmten Beethoven-Kursen von Wilhelm Kempff, der viele Jahre in Potsdam wohnte, teilgenommen hat. Angesichts der großen zeitlichen Abstände in der Musik – oft liegen 50 und mehr Jahre zwischen Schüler und Lehrer – findet Hellwig es besonders wichtig, viel zu erklären, „sodass die jungen Leute dann selbst daran weiter arbeiten können“, wie er sagt. Dann geht es weiter am Klavier mit Dingen wie dem Geheimnis einer guten Artikulation, Steigerungen oder wie man ein Diminuendo spielt, ohne zu verschwinden. „Und jetzt zunehmend die Krallen zeigen! Schon viel besser als gestern“, lobt Professor Hellwig. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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