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Auf eigenen Spuren. Julia Schoch pflegt einen angenehm unbekümmerten Umgang mit ihren autobiografischen Bezügen.

© M. Thomas

Kultur in Potsdam: Spielliebe

Die Potsdamerin Julia Schoch stellt bei Wist ihren neuen Roman „Selbstporträt mit Bonaparte“ vor

„Gibt es das, dass eine Liebe keine Geschichte hat, nur einen Ort? Einen Ort, von dem alles ausgeht, das Reden, das Gelächter, die Liebe selbst?“ Immer wieder kreisen die Gedanken der namenlosen Ich-Erzählerin in Julia Schochs neuem Roman „Selbstporträt mit Bonaparte“ um diesen Ort, ein in der Stadt Pe. an der Breiten Straße gelegenes Kasino. Hier, wo die Zeit aufgehoben scheint und die Alltagswelt hinter blickdichten Scheiben ausgesperrt bleibt, findet eine ungewöhnliche Liebesbeziehung ihren Ursprung und in der gemeinsamen Leidenschaft für das Roulettespiel auch ihr Ritual. Eine eigene Wirklichkeit und „Unverbindlichkeit auf Dauer“, fernab einer gewöhnlichen „Paarzeitrechnung“. Seitdem jedoch ihr Geliebter, den sie Bonaparte nennt, entgegen seiner sonstigen Gewohnheit nicht mehr wiedergekehrt ist, sinnt die Erzählerin im ungekünstelten, melancholischen Ton und mit konturscharfen Worten seinem Verschwinden nach und will es in einer Rückschau auf diese Zweisamkeit und auf ihre eigene Vergangenheit begreifen lernen. Ja, es ist ein großes Erinnern und Fragen, das da auf gut 140 Seiten stattfindet, ein mosaikartiges Gebilde, das sich aus Bruchstücken dieser Liebesbeziehung und der Lebensgeschichte der Erzählerin zusammensetzt. Und sich dabei herrlich liest.

Wie intensiv diese Liebe gewesen ist, zeigen schon die 688 Kasino-Eintrittskarten an, welche die Erzählerin wie als Zeugnis ihrer wirklichen „rückwärtigen Existenz“ und einer in ihrem sonstigen Leben so nicht vorkommenden Stetigkeit aufgehoben hat, während ihr auf der Vorderseite, also „außerhalb des Roulettes oft gar nichts des Erzählens wert scheint“. Dennoch ist es keineswegs die Geschichte einer Spielsucht, die Julia Schoch in ihrem neuen, dritten Roman erzählt. Die Autorin, die selbst tatsächlich sehr gern die Roulettetische in den Spielkasinos aufsucht, will nicht, wie etwa Dostojewski in seinem Roman „Der Spieler“, das Destruktive des Glückspiels beschreiben. In ihrem Prosatext finden die Liebenden durch die gemeinsam entflammte Faszination für das Roulettespiel erst zueinander, ist ihr gegenseitiges Verlangen untrennbar mit dem Spiel gebunden. Nur selten betritt die Erzählerin das Kasino allein, und da die Gewinnsucht ausbleibt, besteht auch nie die Gefahr des finanziellen Ruins. So wie sich das Paar eine kostbare Intimität bar üblicher Beziehungsmechanismen geschaffen hat, sich niemals gegenseitig nachspioniert, sich anschreit oder besinnungslos übereinander herfällt, so hat es auch im Roulettespiel eine Strategie entwickelt, stets „vernünftig zu spielen“ und verlorenen Einsätzen nicht nachzujagen. Das Kasino selbst wird symbolisch überhöht, ist Zentrum der Liebe und des gemeinsamen Rausches, jedoch nicht Ort des Kontrollverlustes.

Julia Schoch legt hier keine falschen Fährten, wohl aber finden sich, wie in vielen ihrer Texte, wieder offenkundig autobiografische Spuren, als wolle sie ganz bewusst den Kreidestrich zwischen sich und ihren Figuren beziehungsweise Erzählstimmen verwischen. Schon in ihrem vielfach ausgezeichneten, 2001 erschienenen Erzähldebüt „Der Körper des Salamanders“ entwirft die 1974 als Tochter einer Buchhändlerin und eines NVA-Offiziers in Bad Saarow am Scharmützelsee geborene und in der mecklenburgischen Kasernenstadt Eggesin am Oderhaff aufgewachsene Autorin bisweilen Handlungsorte und Figurenkonstellationen, die aus dem Material ihrer eigenen Biografie gespeist scheinen. Auch in ihrem 2009 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominierten, hinreißend schönen Roman „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“, der thematisch wie ihr neues Buch um den Verlust und die Erinnerung an einen geliebten Menschen kreist, kehrt sie an den Ort ihrer Kindheit und Jugend zurück. Zurück in ein verschwundenes Land.

Seit 1986 lebt Julia Schoch in Potsdam, wo sie in den 90er Jahren Germanistik und Romanistik an der Universität Potsdam studierte. Anschließend arbeitete sie dort zunächst als Dozentin für französische Literatur, bevor sie sich 2003 als erfolgreiche freie Autorin selbstständig und auch als Übersetzerin einen Namen machte.

So verwundert es wenig, wenn auch die Ich-Erzählerin in „Selbstporträt mit Bonaparte“ freiberuflich als Texterin arbeitet und in einer Stadt lebt, deren Vertrautheit sie bisweilen vermisst, die sich dem Leser jedoch mittels der konkreten Ortsbeschreibungen und Hinweise auf die groß angelegten Projekte zum historischen Wiederaufbau schnell als Potsdam zu erkennen gibt. Erneut gelingt Julia Schoch diese Verquickung von Erzählerin und Autorin, dieser angenehm unbekümmerte Umgang mit den autobiografischen Bezügen gleich einer womöglich auch augenzwinkernd gemeinten Spielart ihrer Erzählkunst. Darin selbst besticht sie vor allem mit einer Sprachmacht, deren Eleganz gefangen nimmt. Julia Schoch beschreibt nie ausufernd und detailverliebt. Eher skizziert sie immer haargenau und beschwört allein mit ihrer schnörkellos feinen, klaren und stets zugänglich bleibenden Sprache jene Stimmungen und Atmosphären herauf, die frei jedweder Rührseligkeit die großen Themen ihres Erzählwerks, die Liebe, die Vergänglichkeit und die Kraft der Erinnerungen auf grandiose Weise bildhaft und sagbar machen. Diese herausragende Art des Schreibens macht auch das neue Büchlein von Julia Schoch zu einem großen Roman.

Am morgigen Donnerstag, dem 20.September um 20 Uhr, stellt Julia Schoch ihren neuen Roman „Selbstporträt mit Bonaparte“ (Piper Verlag München, 16,99 Euro) in der Buchhandlung Wist, Dortustraße 17, vor. Der Eintritt kostet 5 Euro

Daniel Flügel

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