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KULTUR IN POTSDAM: Kunst ist nicht dekorativ

Das Durchsanierte in der Schiffbauergasse hat sich auch auf die Kulturträger übertragen - wenn da nicht das Hans Otto Theater wäre

Er wurde denkmalgerecht wiederhergestellt und ist das Vorzeige-Erlebnisquartier der Stadt. Doch immer wieder wird behauptet, der Kulturstandort Schiffbauergasse sei totsaniert. In unserer Reihe „Schiffbauergasse“ schauen wir auf den jetzigen Zustand und fragen, was könnte und was müsste sich verändern, um mehr Leben in das Areal am Tiefen See zu bringen. Heute betrachten wir das Hans Otto Theater.

Bernd Geiling ist ein stiller und ernsthafter Mann. Ein Mann, der sein Gegenüber genau betrachtet und auf Fragen langsam und überlegt antwortet. Fast schon möchte man ihn als reserviert bezeichnen, wenn da nicht diese andere Seite wäre. Die Bühnen-, die Schauspielerseite von Bernd Geiling. Wer ihn in den unterschiedlichen Rollen, ob als Vater des Käthchen von Heilbronn, ob als Philipp II. in „Don Carlos“ oder als bleichen Totenengel in „Krebsstation“ im Hans Otto Theater erleben durfte, ihn aufmerksam beobachtet hat, wird die Kraft gespürt haben, die von diesem Schauspieler ausgehen kann. Mal wie eine Naturgewalt, die alles in ihrer Nähe absorbiert, mal wie ein leichtes Vibrieren nur, dessen Wirken aber tief in die Menschen und deren Handlungen dringt. Da spielt einer, der sich aufzehrt, der mit jeder Rolle ein so klares wie unmissverständliches Bekenntnis zu seinem Beruf gibt. Und dann liest man diesen Satz von ihm: „Der Künstler ist der letzte schmerzende Furunkel am Arsch einer kulturell hoffnungslos verblödeten Gesellschaft, deren mehrheitliches Kunstverständnis nicht mehr über Fassadenpolitur, Straßenbelagveredelung und Eventvermarktung hinaus reicht.“

Es sind harte Worte zwischen Anmaßung und Zynismus, Bankrotterklärung und Beleidigung. Worte, die einen treffen, weil da einer nicht nur wütend ist, sondern auch etwas Wahres anspricht. Es sind Worte, die Bernd Geiling nicht im engsten Kreis ausgesprochen hat. Sie stehen im aktuellen Spielzeitheft, mit einer Auflage von weit über Tausend.

Er habe hier natürlich satirisch überspitzt, sagt Bernd Geiling, angesprochen auf seine Selbsteinschätzung im Spielzeitheft. Und dass er hier eine schwer elitäre Kunstauffassung der mittlerweile üblichen polierten Fassadenpolitik in der Kultur gegenübergestellt hat. Dann entsteht eine kleine Pause, in der Geiling auf den Tisch vor sich schaut. Und man wartet, weil man weiß, dass das noch nicht alles ist. „Kunst ist nicht dekorativ“, sagt Bernd Geiling. Er sagt das mit einer Stimme, in der diese unbändige Kraft des Schauspielers mitschwingt.

Ist die Rede von der Schiffbauergasse, diesem für 100 Millionen Euro sanierten Denkmalbereich, dem offiziellen Kulturstandort dieser Stadt, ist da immer diese scheinbar unüberbrückbare Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit spürbar. Der betonierten Stille wird gern die Wunschvorstellung vom menschenvollen Areal und Häusern, in der es vor Kultur nur so brodelt, gegenübergestellt. Dem oftmals trostlosen Jetzt wird gern das bunte Früher vorgehalten, als mit den Besetzern die Kunst in die Schiffbauergasse kam und alles so viel toller und freier und kreativer und wilder und sowieso war. Doch im Rückblick ist vieles oft nur deshalb so viel schöner, weil Nostalgie und Verklärung das Gewesene überlagern.

„Die Schiffbauergasse war immer überfrachtet mit Erwartungen“, sagt Sabine Chwalisz, künstlerische Leiterin der „fabrik“, dem Internationalen Zentrum für Tanz und Bewegungskunst in der Schiffbauergasse. Die „fabrik“ ist neben dem T-Werk und dem Waschhaus einer der freien Träger, die noch für das bunte Früher stehen. Doch von diesem Früher ist nicht mehr viel zu spüren. Die freien Träger haben sich am Standort etabliert. Etabliert sind auch ihre Strukturen, etabliert ihre Programme. Geht es um mehr, um die viel beschworene Belebung des Standortes, dann sind fast immer die gleichen Argumente zu hören: Es fehlt an Geld und die Verantwortung liegt bei der Stadt. So dümpelt die Diskussion seit Jahren vor sich hin. Fast möchte man sich schulterzuckend abwenden und die Beteiligten sich weiter auf ihre Nabelschau beschränken lassen. Besser wird es sowieso nicht. Wenn da nicht das Hans Otto Theater wäre.

„Kunst ist nicht dekorativ.“ Dieser einfache Satz von Bernd Geiling, dazu diese Stimme voller Kraft und leichter Wut, in der ein trotziges und gleichzeitig so wohltuendes Jetzt-erst-recht mitschwingt, sind wie kleine Bestätigungszeichen für das, was einem in den vergangenen Monaten Stück für Stück bewusster wurde. Dass ausgerechnet das städtische Theater, die Schauspieler um den Intendanten Tobias Wellemeyer die treibende Kraft sind, die am Standort, so komisch das auch klingen mag, für kulturelle Vielfalt zu sorgen versteht.

Natürlich kann jetzt gleich wieder die alte Diskussion vom Geld begonnen werden. Ganz nach dem Motto: Die kriegen ja so viel! Und wir nur so viel! Klar ist, dass auch Wellemeyer gelegentlich darauf hinweist, dass die Finanzierung des Hans Otto Theaters mit knapp zehn Millionen dringend überarbeitungsbedürftig sei. Doch er ruht sich darauf nicht aus. In diesem Zusammenhang könnte dem Satz von Bernd Geiling, dass Kunst nicht dekorativ sei, ein weiterer hinzufügt werden. Der, dass Kunst nicht verhandelbar ist.

Seit Sommer 2009 ist Wellemeyer Intendant und Regisseur am Hans Otto Theater. Wellemeyer ist wie Geiling auch ein stiller und ernsthafter Mann. Mit seiner Vorstellung von Theater traf er zu Beginn seiner Spielzeit in Potsdam auf wenig Gegenliebe. Ibsens Drama „Die Wildente“, mit der Wellemeyer sein Debüt als Regisseur und Intendant in Potsdam gab, verstörte viele. Dann ließ er Lukas Langhoff „Macbeth“ inszenieren. Ein durchgeknallter, ein wilder und verrückter Abend. Ein Abend zum Kopfschütteln. Gleichzeitig aber auch ein Abend, der herausforderte. Weil bei der Premiere ein paar Gäste die Vorstellung verließen, wollte mancher gar schon von einem Theaterskandal sprechen. Wellemeyer und seine Schauspieler wurden nun vor allem mit größter Skepsis betrachtet. Nicht wenige wünschten sich seinen Vorgänger Uwe Eric Laufenberg zurück. Kein stiller und ernsthafter Mann wie Wellemeyer, eher ein Zampano, einer, der jeden Auftritt als Bühne nutzt und der in seiner Spielzeit das Publikum mit Stargästen wie Katharina Thalbach oder Angelica Domröse und Winfried Glatzeder in Scharen zu locken verstand. Wellemeyer verzichtete auf solche Stars, die als sichere Publikumsmagneten gelten. Er verließ sich auf seine Schauspieler, auf sein Ensemble und bezog dafür anfangs ordentlich Prügel.

Rückblickend lässt sich sagen, dass da auch viel Gehässigkeit in den Diskussionen mitschwang. Dass der stille und ernsthafte Wellemeyer, der eben nicht in der Öffentlichkeit die große Bühne sieht, dem Potsdamer Theater nicht gewachsen sei, hieß es. Manche sprachen gar davon, dass der Intendant wie autistisch wirke und der Kritik nichts entgegenzusetzen verstehe. Doch Wellemeyer beharrte einfach auf sein Konzept. Für ihn stand fest, was Bernd Geiling so treffend sagte: Kunst ist nicht verhandelbar. Als dann sogar schon erste Gerüchte umgingen, dass Wellemeyer vielleicht sogar seines Postens enthoben werden sollte, kam im November 2010 „Der Turm“, nach dem bekannten Roman von Uwe Tellkamp auf die Bühne des Hans Otto Theaters. Diese Inszenierung wurde zum Erfolg und es schien, als wenn mit diesem Erfolg auch die spürbare Last von den Schultern der Schauspieler gefallen ist.

Aber es sind nicht nur die Inszenierungen im Hans Otto Theater oder in der Reithalle, die das Team um Wellemeyer zu der treibenden Kulturkraft in der Schiffbauergasse machen. Die regelmäßigen Konzerte, Lesungen und Kleinkunstabende in der Reihe „nachtboulevard“ sind mittlerweile zu einer zwar immer noch kleinen, aber feinen Adresse für eher ungewöhnliche Programmformate geworden. Denn auch hier gilt für das Team um den verantwortlichen Dramaturgen Helge Hübner der Satz von Geiling, dass Kunst nicht dekorativ ist. Auch das 24-Stunden-Fest „Stadt für eine Nacht“, das in diesem Jahr wie schon im Jahr zuvor Tausende in die Schiffbauergasse lockte, ist eine Idee aus dem Hans Otto Theater, von dessen stillen und ernsthaften Intendanten Tobias Wellemeyer.

Immer wieder ist beim Thema Schiffbauergasse auch die Rede von der Sommerbespielung. Beklagt wird in diesem Zusammenhang immer auch das Fehlen einer Freiluftbühne direkt am Tiefen See. 350 000 Euro für Technik und Zuschauersitze sind dafür veranschlagt. Weder die Stadt noch das Hans Otto Theater konnte diese Summe in diesem Jahr aufbringen. Trotzdem hat es ein Sommer-Open-Air gegeben. Mit Philippe Bessons Inszenierung von Molieres „Die Schule der Ehemänner“, die in den Innenhof des Theaters, in den sogenannten Gasometer verlegt wurde. Kein Gejammer, von wegen, das Geld fehlt. Und wer gelegentlich die Schauspieler auf dem Weg zur Probe gesehen hat, ihre müden Gesichter, der hat erkannt, dass hier am Limit gearbeitet wird.

Ob das nun gut ist oder nicht, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Wer „Die Schule der Ehemänner“ erleben durfte, hat von dieser Müdigkeit nichts gespürt. Er hat nur Schauspieler erlebt, die den Gasometer in ein herrliches Komödieantenstadl verwandelten, die für das gewünschte Leben in der Bude sorgten. Es war aber auch ein sehr guter Abend, an dem man auf die zurückliegende Theatersaison blicken konnte.

Und man kam nicht umhin festzustellen, was in den zurückliegenden Monaten alles geleistet wurde, um diesen Standort zu beleben. Dass dies nicht in dem wunschgemäß großen Rahmen geschieht, ist nicht die Schuld des Hans Otto Theaters. Dass aber trotzdem noch so viel passiert, dass ist vor allem diesem, unserem Stadttheater zu verdanken!

Am heutigen Samstag findet ab 14 Uhr das große Theaterfest des Hans Otto Theaters in der Schiffbauergasse statt. Der Eintritt ist frei. Informationen zum Programm unter www.hansottotheater.de

Dirk Becker

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