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Komm hinterm Ofen vor! AnniKa von Trier besingt Karl Marx.

© Thea Weires

Kultur in Potsdam: „Ich netzow doch so gern“

Bei der Performerin AnniKa von Trier trifft Dada auf Kapitalismuskritik, Marx auf Bettina von Arnim

AnniKa von Trier musste sich ziemlich weit von Karl Marx entfernen, um ihm zu begegnen. Zwar wuchs sie in Trier auf, Marx’ Geburtsstadt, aber sie musste an die Berliner Volksbühne kommen, um auf ihn zu stoßen. 1992 ist das, in einem Dramaturgiebüro. Zwei Schreibmaschinen stehen da, ein paar alte FDJ-Fahnen – und die Werke von Marx und Engels. Eine Zeit, in der sich gerade niemand mehr für Marx interessiert. Aber sie, die Westdeutsche, prägt die Begegnung. Jahre später wird sie den Marx-Song schreiben, mit dem sie am Mittwoch auch in Potsdam gastiert: „Karl Marx, du Praktiker der Philosophen, komm mal vor hinter dem Ofen!“

Damals in der Volksbühne ist AnniKa von Trier 22 und nennt sich noch Annika Krump. Sie hatte Seiltanzen gelernt, ein bisschen Malerei in Frankreich, und war offiziell Studentin für Neuere Deutsche Literatur. Nur verbrachte sie ihre Zeit lieber als Regiehospitantin bei dem Regisseur, der die Volksbühne in den kommenden Jahren berühmt machen sollte. Frank Castorf hieß er. AnniKa von Trier war von seinen Inszenierungen beeindruckt, aber auch von dem schlurfigen Pessimismus, mit dem er den Mitarbeitern des Theaters, das er leiten sollte, auf der Vollversammlung sagte: „Ick weeß ja ooch nich, wie’s hier weiterjeht.“

AnniKa von Trier hätte an der Volksbühne bleiben können, hätte weiter Programme kopieren, Reihen programmieren, anderen auf der Bühne zusehen können, aber sie hörte auf ihre innere Stimme. Und die schickte sie weg von den Assistenzjobs. Weg aus den Büros, hin auf die Bühne. Noch als Dramaturgin an der Volksbühne arbeitete sie an einem eigenen Programm, heimlich: „Palma Kunkel – die singende Tellermiene“. Lieder von Claire Waldoff, Kurt Tucholsky.

Deren Musik hatte sie schon als 16-Jährige gehört, jetzt wollte sie sie selbst singen, in dadaeskem Kostüm, mit großen Gesten, rollenden Augen. In dem Tagebuch, das Annika Krump während der Volksbühnenzeit führte und das 2015 als Buch erschien, schreibt sie: „Ich hatte das Gefühl, jetzt habe ich mich gezeigt.“ Aus der Germanistik studierenden Dramaturgieassistentin war eine Künstlerin geworden. 1993 verlässt sie ihr Büro, wenig später leitet sie dort als Kunstfigur Palma Kunkel den „Grünen-Mittwochs-Salon“.

25 Jahre ist diese Metamorphose jetzt her. Auf Palma Kunkel folgten andere Bühnenfiguren, „Die Handtaschenträgerin“, „Mademoiselle Papillon“ – und, seit 2014, AnniKa von Trier. Mit dem Namen geht auch eine neue Bühnenfigur einher, AnniKa von Trier ist die mit dem Akkordeon und dem silbernen Faltenrock. Der Name ist auch ein Bekenntnis zur Herkunft, denn sie, die seit zwei Jahrzehnten im Ostteil Berlins wohnt, wird fälschlicherweise selbst oft für eine Ostlerin gehalten.

AnniKa von Trier singt eigene Texte, auch das ist relativ neu. Sie singt mit heller, mal perlender, mal wasserfallartig aus schwindelnden Höhen kippender Stimme von digitaler Bohème, von zeitgenössischen Phänomenen wie dem Window Shopping, dessen Ohrwurm-Refrain einen tagelang verfolgt, von Patchwork Familys, vom Leben im Jetzt – von dem „anderen Kapital“ gewissermaßen, das die aktuelle Schau der Gemeinschaft der deutschen und österreichischen Künstlerinnen und Kunstförderer (Gedok) im Landtag gerade untersucht.

Wenn dort am Mittwoch eine Verstanstaltung zu der Frage „Was sind gesellschaftlich kapitale Werte?“ stattfindet, ist AnniKa von Trier also durchaus am Platz. Sie wird vesuchen, Marx hinterm Ofen vorzulocken und auch den „Brandenburger Brief“ lesen, einen fiktiven Liebesbrief der Bettine von Arnim an ihren Ehemann Achim aus dem Jahr 1816. Geschrieben hat AnniKa von Trier ihn nach einem Stipendium in Wiepersdorf. Um Kinder geht es, um Geldnot, um den Umzug nach Berlin, den sich Bettine wünscht, um die brandenburgische Ödnis. Und das klingt so: „Sind die Nächte Lausitz ich immer draußen. Immerzu Kröbeln! Mein Deetz ist am Bersteland, dass ich mich morgens ganz Caputh fühle.“ Oder, an anderer Stelle: „Ich Netzow doch so gern!“

In den historisch genau recherchierten Kontext hat von Trier sagenhafte 444 Brandenburger Ortsnamen eingebettet. Ein Sprachspiel mit Komik und Tiefe, das immer auch eine Frau auf der Suche nach der inneren Stimme zeigt. Eine Frau zudem, die, wie AnniKa von Trier recherchierte, auch Herrn Marx aufsuchte und mit ihm eine Mondnacht lang philosophierte. „Hab da so ’ne Wilhelmsgrille im Kopf“ heißt es im fiktiven Brief. „Wir alle sollen Könige sein.“ Das wiederum ist keine Fiktion, sondern hat Bettine wortwörtlich so formuliert, in „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“. AnniKa von Trier verwebt Fiktion und Realität, gestern und morgen, Alltag und Utopie. Eine begnadete Netzowerin, auch sie. Lena Schneider

„Künstlerinnen und ihr Kapital. Bilder, Texte, Musik“, mit Gedok-Künstlerinnen und AnniKa von Trier, am Mittwoch, dem 14. März um 18 Uhr im Landtag

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