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Einfach nur laufen. Bei dem von der Robert-Bosch-Stiftung geförderten Projekt sollen theaterinteressierte Flüchtlinge und Potsdamer zusammen improvisieren und grundsätzliche Techniken erlernen.

© Andreas Klaer

Kultur in Potsdam: Den Theatermoment finden

„Brücken bauen“ heißt das erste Stück einer syrisch-deutschen Theatergruppe. Morgen ist Premiere im Begegnungshaus Oskar in Drewitz

Reisen, ankommen, weitergehen – das Thema der Theateraufführung ist immer präsent. Wenn Schienenersatzverkehr ist, gestaltet sich die Anreise zur Probe komplizierter als sonst. „Wir holen sie jetzt ab“, sagt Sabine Mohr, Theaterpädagogin, während die halbe Gruppe auf die noch fehlenden Mitglieder wartet. Warten, auch das gehört zum Themen-Kanon. „Daran musste ich mich gewöhnen“, sagt Mohr. Daran, dass es auch Menschen gibt, die ein anderes Zeitmanagement haben als die Deutschen. „Ich begegne dem mit Flexibilität und Humor.“

Im Theatersaal des Begegnungszentrums Oskar, wo die Probe stattfindet, kann man gut warten. „Holt schon mal die Koffer aus dem Fundus“, sagt Mohr zu den Mädchen. Musiker Christian Uibel baut das E-Piano auf und schickt ein paar Tonsequenzen in den Raum. Dann sind die meisten da, alle sind nie da, die lockere Gruppe lebt auch davon, dass es eben keine allzu festen Strukturen gibt. Und doch wollen sie jetzt ein Stück aufführen. Das Erste, das acht von ihnen, fünf aus Syrien und drei von hier, gemeinsam erarbeitet haben. Am 17. November ist Premiere.

Seit März proben sie. Die Theatergruppe gründete sich bereits vor gut einem Jahr. Sabine Mohr arbeitete damals ehrenamtlich im Begegnungscafé der Babelsberger Kirchgemeinde. Irgendwann sammelte sie theaterinteressierte Gäste, sowohl Flüchtlinge als auch Potsdamer, alte und junge, um sich. „Ich dachte, vielleicht kann ich denen ein wenig Handwerkszeug vermitteln.“ Irgendwann sollte die Arbeit dann in ein größeres Projekt münden.

Dafür kamen noch der Musiker und Film-Experte Christian Uibel sowie Steffen Findeisen dazu. Findeisen ist Schauspieler mit Schwerpunkt Tanz- und Maskentheater und leitet regelmäßig theaterpädagogische Kurse in Schulen, Hochschulen und freien Theatern. Er ist für die choreografischen Belange zuständig. Die Arbeit mit dieser Gruppe erlebe er als menschlich sehr spannend, sagt Findeisen. Weil die Teilnehmer unterschiedliche kulturelle Hintergründe und zum Teil Fluchterfahrungen mitbringen, sei es auch für ihn ein besonderer Lernprozess gewesen. Eine wichtige Begegnung. „Für solche Projekte wünsche ich mir mehr Unterstützung und Wertschätzung in der Gesellschaft“, sagt Findeisen.

Mit Förderung vom Land und von der Robert-Bosch-Stiftung wird nun dieses erste Stück realisiert. „Brücken bauen“ – eine Kollage zu den Aspekten „Reisen, ankommen, weitergehen“. Jeder sollte etwas erzählen und beitragen können, sagt Mohr. Reisen kann schließlich jeder, von einem Ort zu anderen oder durchs Leben – da fänden sich viele metaphorische Ebenen. Es sollte jedenfalls nicht vordergründig um das Thema Flucht gehen. „Wenn es sich ergab, dann haben wir das aber aufgenommen.“ Die Texte und Szenen, die Bilder aus musikalischen und tänzerischen Sequenzen, haben sie selber geschrieben und erarbeitet, die Bühnensprache ist Deutsch, vereinzelt aber auch Syrisch.

Das Stück besteht aus drei Schwerpunkten: Improvisation zu Musikelementen, Kurzgeschichten in Videos, die lediglich mit Nahaufnahmen von Füßen arbeiten, und inszenierte Episoden zum Thema „Was ich nie vergessen werde“. „Ich habe viel Spaß hier und ich habe in der Gruppe viele deutsche Wörter gelernt“, sagt Hiba, 17 Jahre alt und aus Syrien. Jetzt lebt sie in Waldstadt und geht dort zur Schule. In ihrer Geschichte spielt das Wasser eine Rolle. Zu Hause in Syrien sei sie als kleines Kind mal in einen Pool gefallen. Sie selber hat heute keine Angst mehr vor dem Wasser, fragt sich aber, wie es jemandem geht, der so ein Erlebnis nicht vergessen kann. Und jetzt in einer Stadt mit so viel Wasser, wie Potsdam hat, angekommen ist. Ein Perspektivwechsel. Auch Ellen aus Babelsberg probiert einen anderen Blickwinkel aus. „Ich spiele ein kleines Mädchen, das niemanden mehr hat in der Welt“, sagt die 16-Jährige. „Ich bin auf der Suche – aber ich weiß nicht, wonach.“ Ellen gehörte früher zum Kindermusiktheater Buntspecht. Die neue Gruppe gefällt ihr besser. „Hier kann jeder machen, was ihm liegt, was er kann, es gibt keinen Druck.“

Bei aller Freiheit und Improvisation: Mohr möchte den Teilnehmern, von denen die meisten keine Theatererfahrung haben, auch grundsätzliche Techniken vermitteln. Jede Probe beginnt mit Aufwärmübungen zum Lockern und um sich für das Spiel und die Mitspieler zu öffnen. Sie proben, Blickkontakt zuzulassen oder zu blockieren. Sie experimentieren mit Nähe und Abstand. Sie üben – das Brückenbauen.

Sabine Mohr lässt die Teilnehmer manchmal auch nur durch den Raum laufen, ihn begreifen und für sich einnehmen, um den Theatermoment zu genießen und nicht gleich wieder weg zu rennen und von der Bühne zu springen. Die Frauen – es sind leider fast ausschließlich Frauen, sagt Mohr – haben in der Theaterarbeit mehr Selbstbewusstsein entwickelt.

Am 17. und 18. 11. um 19 Uhr im Oskar, Oskar-Mester-Straße 4-6. Am 1.12. um 19 Uhr im Friedrich-Reinsch-Haus, Milanhorst 9, am 3. 12. um 18 Uhr im Friedenssaal, Schopenhauerstraße 23

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