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Kultur in Potsdam: „Das Du schlug ich aus“

Die Ausstellung „parallel“ in der „Guten Stube“ zeigt Arbeiten von Stephan Velten und seinem Lehrer Hubert Globisch. Die Geschichte zweier Maler, die sich im Widerwillen gegen den Sozialistischen Realismus nahe waren

Es ist seine bislang kleinste Ausstellung und behandelt doch ein großes Thema: das Verhältnis von Lehrer und Schüler, von Respekt und Nähe, von Sehen und Gesehenwerden. Stephan Velten wurde gesehen, als er vor 50 Jahren am Humboldt-Gymnasium sein Abitur ablegte. Er hatte das Glück, dem legendären Kunsterziehungslehrer Hubert Globisch zu begegnen, dem Feingeist, dem Künstler, der auch das Empfinden der Isolation und Melancholie wohlwollend begleitete.

Wie oft legte Stephan Velten ihm vor, was er zuhause gemalt, gezeichnet, ausprobiert hatte. Der Lehrer schaute genau, half weiter, lehrte durch Beispiele aus der Kunstgeschichte das Sehen. „Seine geistige Wachheit und die Befähigung zum Befragen ,der Dinge’ befeuerte uns Schüler. Wir waren mit ihm in der Zeit und in der Welt unterwegs“, sagt Stephan Velten. Mit Hubert Globisch traf Stephan Velten auf einen Lehrer, von dem er sofort wusste, dass auch er das eigene Unbehagen mit der Kunstauffassung des sogenannten Sozialistischen Realismus teilte. Als ihm der Lehrer später, nach dem Studium, das „Du“ anbot, konnte es Velten nicht annehmen. „Da schwang noch etwas anderes mit und das wollte ich bewahren. Der Zauber des Anfangs sollte nicht dem Üblichen unterliegen“, erinnert er sich.

In der „Guten Stube“ des Potsdamer Kunstvereins begegnen sie sich nun wieder, in ihren frühen Werken: der 2004 verstorbene Hubert Globisch und der inzwischen 64-jährige Stephan Velten. Ihre Bilder hängen „parallel“, so wie ihre Arbeitsweisen nebeneinander standen: Sie ziehen sich in der Enge der Charlottenstraße 121, schlecht ausgeleuchtet, durch den Globisch-Flur treppauf in den Velten-Raum. Von Hubert Globisch ist auch ein bislang unbekanntes Bild zu sehen, das extra für die Schau vom Potsdamer Kunstverein restauriert wurde: sein „Leerer Raum“ von 1946. Ein Ausnahmewerk, denn es zeigt einen Menschen kurz nach dem Krieg in seiner Verlorenheit. Ein sehr berührendes Bild. Globisch fand ansonsten nicht in der Figur, sondern in der Landschaft seine Sprache, anfangs unter erdrückendem Himmel, der kaum Platz zum Atmen ließ, später freier, diffuser, filigraner. Und immer unter ökologischem Blick, wie bei den späten apokalyptischen Oderflutbildern.

Stephan Velten war anders unterwegs: In seiner Welt hatten die animalischen Formen des Daseins das Sagen, der Körper in seiner Zerrissenheit. Und der Lehrer machte aus seiner Sympathie und Achtung für ihren Unterschied keinen Hehl.

Auch von Velten dominiert in der „Guten Stube“ ein Frühwerk: das „Café Rosa“ von 1984. Ein sehr zentrales Bild aus dem Schaffen des Potsdamer Künstlers, für das der Kunstverein jetzt 3000 Euro sammelt, um es dem Maler abzukaufen und dem Potsdam-Museum übergeben zu können.

Die Geschichte dieses Bildes, das die Willkür der damaligen Politik auf absurde Weise spiegelt, erzählt Stephan Velten zuhause in seiner Wohnung in der Friedrich-Ebert-Straße, die er derzeit eher selten und nur mit Krücken verlässt. Er wartet dringend auf eine Hüftoperation. Während Hund Harry um den Tisch streicht und seine Frau Gretel Schulze, Potsdams bekannte Kabarettistin, Kaffee einschenkt, reisen wir gedanklich zurück in den Herbst 1987. Die X. Kunstausstellung in Dresden stand bevor. Nach massiven Beschwerden der Maler und dem Einspruch der Bezirksverbände Bildender Künstler beim Zentralvorstand sollten erstmals Jurys vor Ort mitentscheiden, welche Kunstwerke mit nach Dresden, den Olymp der DDR-Kunst, gehen. Aus Potsdam durften 16 Bilder dabei sein, so die Quote. Veltens „Café Rosa“ war bereits nominiert, als Günther Jahn, der damalige Chef der SED-Bezirksleitung in der „Endabnahme“ seinen Unmut kundtat: „für dieses so harmlose, Frühlings- und Gute-Laune-Bild“, wie Velten es beschreibt. Er versteht bis heute nicht, was der Partei-Obrist auszusetzen hatte. Vielleicht war ihm das Bild zu abstrakt, nicht realistisch und eindeutig genug. Vielleicht witterte er eine versteckte kritische Botschaft darin. Als die Jury dem entgegenhielt, dass dieses Bild schon in der Zentralen Ausstellung der Jungen Künstler im Alten Museum Berlin gehangen habe, lenkte Jahn ein. Dennoch wurde es nicht in Dresden ausgestellt. „Es gab immer Kollegen, die plötzlich viel mehr Platz beanspruchten und sich nach vorne spielten, so wie Bernhard Heisig. Da wurden Prinzipien auch schnell mal über den Haufen geworfen“, sagt Velten.

Der Umgang mit dem Bild sei jedenfalls aufregender als das Bild selbst. Es sei Ausdruck des Aufatmens, des freieren Lebensgefühls. „Die Caféhaus-Bilder entstanden bald nach dem Studium in Berlin, nach dem Reglement an der Hochschule mit ihren festen Auffassungen“. Seine wilden 80er Jahre, die er auch in der großen Ausstellung zur deutsch-deutschen Malerei im Potsdam Museum vor zwei Jahren eindrucksvoll zur Schau stellte.

Stephan Velten traf sich damals in Cafés, um Leute zu sehen. „Alles war unbeschwert, das Leben billig. Ich unterrichtete an der Volkshochschule, hatte noch kein Kind, keine Verantwortung.“ Ihn interessierte in den Cafés das Innen und Außen, die Spiegelungen, die wechselnden Gemütszustände. Dieses Unbekümmerte währte nicht lange, immer stärker durchzog die Politik das Sehen, schälten sich die Verletzungen des Menschen heraus, die er wie Skulpturen malte. Oft in der ambivalenten Farbe Gelb, die auch seinen Kohlezeichnungen aus den späten 1980ern in der „Guten Stube“ unterliegt.

Bald sind aus seinen „Leichtgewichten“ „Blöcke“ geworden. Aber auch in den Anfangsarbeiten ist das Kubistische schon angelegt. „Es ist erstaunlich, wie alles zusammenhängt“. Wer diese frühen Arbeiten Veltens nicht kennt, ordnet sie ihm ohne Zögern zu. An der Ausdehnung der rahmensprengenden Figuren, deren Proportionen, erkennt man den Maler.

In Veltens Wohnung sieht man diese Wucht zusammengedrängt an den Wänden, seine großen, oft hintersinnigen Themen. Der Weltenbrand, Männer aus der Oberschicht, die auf Boat People treffen, sich aufbäumende maskierte Pferde. Die Trojanischen Pferde beschäftigen ihn schon länger. Er arbeitet gern in Serien, um der Vielgestaltigkeit Spielraum zu geben. Ihn interessiert der Betrug, die List, die beim Trojanischen Pferd mit reinspielt. „Man musste das Pferd so gut, so blendend ausstatten, dass man es auch haben wollte. Und dann zerstörte man eben die Tore, dass es reinpasste.“

Heute muss er seine großen Pferde mitunter auch im Sitzen malen. Er kämpft nicht nur mit seiner Diabetes, sondern auch mit den kaputten Knochen. „Die sind wahrscheinlich eine Spätfolge vom Leistungssport, als ich im Modernen Fünfkampf mit schweren Gewichten springen musste.“ Gemalt wird weiter. Unverdrossen. Stephan Velten denkt an Hubert Globisch zurück, als er ihn kurz vor seinem 90. Geburtstag im Pflegeheim besuchte. „Er konnte nicht mehr laufen. Der Körper hatte ihm längst unwiderruflich Grenzen gesetzt, doch im Kopf war er noch klar und kämpferisch, scheinbar immer noch voller Energie.“

Stephan Velten bewegt sich durch die Zeiten zurück. Und erzählt auch von seinem Faible für Steine und Fossilien. In einem großen Glasschrank hat er seine Beute aufbewahrt, feinsäuberlich geordnet und beschriftet. Er sammelt an den weiten Stränden Dänemarks Fundstücke aus der Bronze- und Steinzeit, Meißel, Pfeilspitzen, Sägen, und schreibt Dokumentationen darüber.

Er geht weit zurück, auch beim Malen, um dann wieder hautnah Hier und Jetzt zu berühren. Lehrer und Schüler haben tiefe Pflöcke in die Kunstlandschaft geschlagen. Sehr unterschiedliche. Parallel zueinander. Stephan Velten arbeitet weiter an seinen „Pflöcken“, an seinen sich aufbäumenden Pferden, seinen Torsi, seinen zerrissenen, geblendeten, sich aufbäumenden archaischen Wesen. Die Zeit des „Café Rosa“ ist längst vorbei und gehört doch zu ihm.

„Parallel“, bis zum 28. Mai in der „Guten Stube“ des Potsdamer Kunstvereins, Charlottenstraße 121, montags 10 bis 14 Uhr, am Wochenende von 15 bis 18 Uhr. Weitere Informationen zur Spendenaktion unter www.potsdamer-kunstverein.de

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