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Um die Werke Boschs zu beschreiben, müsste man eine neue Sprache erfinden, heißt es – die Kanadierin Marie Chouinard versucht es über den Tanz.

© Sylvie-Ann Pare

Kultur: Künstler gehören in die Hölle

Marie Chouinard eröffnet morgen die Tanztage – mit einer Hommage an Hieronymus Bosch

Ganze 500 Jahre ist der spätmittelalterliche Traum- und Albtraumweltenerfinder Hieronymus Bosch nun schon tot – seine Bilder aber geben Rätsel auf wie eh und je. Dreiköpfige Amphibien, übergroße Vögel, menschliche Körper mit Tierköpfen, surreale Landschaften und biblische Motive, das sind die Elemente, die Hieronymus Bosch in seinen oft apokalyptisch anmutenden Gemälden verquickt. Größte Zärtlichkeit steht hier neben schlimmster Monstrosität, der Mensch in all seiner Verletzlichkeit, seiner Animalität, auch in all seiner Grausamkeit im Mittelpunkt.

Anlässlich von Boschs 500. Todestag 2016 setzte sich ein Film mit einem seiner bekanntesten Werke auseinander – mit dem um das Jahr 1500 entstandenen Triptychon „Garten der Lüste“. Neben anderen namhaften Künstlern und Intellektuellen von Rang kommen in dem Film die Schriftsteller Salman Rushdie und Orhan Pamuk zu Wort, und alle scheinen sich freudvoll die Zähne an Bosch auszubeißen. Um sein Werk zu beschreiben, sagt die brasilianische Schriftstellerin Nelida Pinon, müsste man eine neue Sprache erfinden.

Was, wenn eine solche Sprache ohne Worte auskäme? Die kanadische Choreografin Marie Chouinard hat eben das versucht. Ihr Stück „Der Garten der Lüste“, das pünktlich zu Boschs Todestag 2016 in den Niederlanden Premiere feierte, will eine Beschreibung von Boschs gleichnamigem Gemälde über die Bewegung sein. Als eine „Verbeugung vor einem Meisterwerk“ bezeichnet Chouinard ihre Arbeit, die am morgigen Dienstag die Potsdamer Tanztage 2017 eröffnen wird.

Die fabrik hat sich mit der Einladung der kanadischen Künstlerin einen lang gehegten Traum erfüllt – und mit dem neuen Haus des Hans Otto Theaters steht auch eine für das zehnköpfige Ensemble angemessen große Bühne zur Verfügung. „In früheren Jahren hätten wir so eine große Produktion einfach gar nicht stemmen können“, sagt Sven Till, der Künstlerische Leiter der Tanztage. Darauf, dass das jetzt gelingt, ist er stolz. „Der Garten der Lüste“ ist die erste von fünf Produktionen, die in diesem Jahr im Rahmen des „Kanada Fokus 2017“ zu sehen sind.

„Die Einladung, über Hieronymus Bosch zu arbeiten, war ein wirkliches Geschenk für mich“, sagt Marie Chouinard am Telefon. Die Choreografin ist eine der prägenden Kanadas. Früher, in den wilden 1980ern, soll sie mit Masturbation und Wasserlassen auf der Bühne experimentiert haben. Von Skandalen will sie nichts mehr wissen. Heute ist sie ein Star der Tanzszene, der weltweit tourt. Eben hatte sie Premiere in Monaco. Dem Gemälde Boschs habe sie sich gemeinsam mit dem Ensemble zunächst ganz spontan, leicht, entspannt genähert, erzählt sie. Sich Zeit genommen. Aber immer, betont sie, ganz nahe am Gemälde selbst gearbeitet, das auch auf der Bühne zu sehen sein wird. Ihre Choreografie soll kein vage an Bosch inspirierter Parcours sein, sondern tatsächlich konkrete Bildausschnitte zum Tanzen bringen. Ganz im Sinne einer Verbeugung eben, die vor dem Gegenstand der Verehrung zurücktritt, gewissermaßen um dessen Größe noch größer zu machen.

Was freilich nicht heißt, dass das Heute in der Choreografie keinen Platz hätte. Im Gegenteil, sagt Marie Chouinard. „Hieronymus Bosch spricht im dritten Teil des Triptychons ganz konkret von seiner Gegenwart, und das wollen wir auch tun.“ Dieser dritte Teil ist – nach dem Garten Eden und dem Garten der Lüste – der Hölle gewidmet. Während die Gärten von lichten Grün- und Blautönen geprägt sind, ähnelt die Hölle einem finsteren Fabrikgelände. Flammen sind nur im Hintergrund zu erkennen, im Mittelpunkt stehen Messgeräte und Musikinstrumente, Kriegsgeräte und Waffen. Ein unterirdischer Ort der Produktivität.

„Die Hölle ist bei Bosch ein Ort der menschlichen Produktion, der menschlichen Aktion“, sagt Marie Chouinard. Der Maler soll sich in dieser Hölle sogar in einem Selbstporträt verewigt haben: Der Künstler selbst als Teil einer Art Höllenindustrie. Da mag es nicht überraschen, dass Marie Chouinard auch ihren Platz in der Hölle sucht – zumindest in der Choreografie „Der Garten der Lüste“. Hier hat sie in den dritten Akt, der die Hölle umschreibt, Zitate aus früheren eigenen Tanzproduktionen eingearbeitet. Als Antwort auf das Selbstporträt Boschs.

„Ich beginne mit jeder Arbeit bei null, richte meine Antennen völlig neu aus und suche einen neuen Zustand“, schreibt Marie Chouinard auf ihrer Webseite. Und welcher Zustand wäre das im „Garten der Lüste“? Der stehe ganz im Zeichen von Meister Bosch, sagt sie. „Bosch steht für mich vor allem für eine unglaubliche Großzügigkeit, Güte und Weisheit. Für Menschlichkeit.“ Von der zeugt bei Bosch trotz aller Düsternis sogar die Hölle. Lena Schneider

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