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Fundstück im Waldlager der Sowjetarmee. Auf einem Koppelschloss der Wehrmacht wurden die Symbole mit einem Stern ersetzt. 

© Frank Gaudlitz

Krieg und Frieden: Kulturland Brandenburg 2020: "Fluch allen Nazis und ihren Freunden"

Vor 75 Jahren ging der Zweite Weltkrieg zu Ende. Ein Buch des Kulturlandes Brandenburg zu diesem Jubiläum zeigt jedoch: In den Menschen hat er viel länger gewütet.

Potsdam - Der Zweite Weltkrieg ist zweimal beendet worden, schreibt die Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann. Und keines der beiden Male durch die Kapitulation der Deutschen. "Einmal nach 1945 durch einen kollektiven Willen zu vergessen und dann noch einmal 50 Jahre später durch einen kollektiven Willen zu erinnern." Kriege werden nicht durch Verträge beendet, sagt Assmann, sondern "durch die Formen und Symbolsprachen, in denen man sich an sie erinnert."

Assmanns These findet sich in einem Essay der Publikation, die die Initiative Kulturland Brandenburg auch in diesem Jahr anlässlich des Jahresmottos herausgebracht hat. Der Titel im Jahr 75 nach Ende des Zweiten Weltkrieges: "Krieg und Frieden. 1945 und die Folgen in Brandenburg". Der Essay ist ein so nachdenkliches wie euphorisierendes Plädoyer gegen das "monologische" Gedächtnis einer Nation - und für eine "dialogische" Form des Erinnerns. Für Erinnern aus einer Perspektive heraus, die nicht nur die eigene Position, nicht nur das eigene Leiden kennt. Das kollektive "Wir der Nation" hingegen suche das Gegenteil, sagt Assmann. "Es produziert Mythen, die (...) aufgerüstet werden gegen andere."

Der Potsdamer Klaus Nickel als junger Mann während des Zweiten Weltkrieges im Jahr 1944.
Der Potsdamer Klaus Nickel als junger Mann während des Zweiten Weltkrieges im Jahr 1944.

© Klaus Nickel, Privatbesitz

Ein Buch, das abrüsten will

Das Buch "Krieg und Frieden", herausgegeben von der Brandenburgischen Gesellschaft für Kultur und Geschichte, will folgerichtig abrüsten. Hier wird kein Mythos produziert, keine monologische Erzählung geliefert, keine einzelne griffige These. Stattdessen zwölf Texte und Interviews, die aus verschiedenen Perspektiven auf den langen Prozess schauen, der das Kriegsende in Brandenburg war.

Neben zahlreichen Historikern kommt der Kunstwissenschaftler Michael Zajonz über den ambivalenten Wiederaufbau der Potsdamer Stadtmitte ebenso zu Wort wie die Soziologin Katinka Meyer über selektives Erinnern in ostdeutschen Familien und die Literatin Manja Präkels mit einem persönlichen Text über ihre Kindheit oder der Filmjournalist Knut Elstermann über antifaschistische Filme bei der Defa. 

Der 8. Mai, "die vollständige Niederlage des Vaterlandes"

Ein weiteres Plädoyer stammt von Christian Müller-Lorenz, der gemeinsam mit Noemi Schneider den Band auch konzipiert hat. Warum eigentlich ist der 8. Mai kein Feiertag?, fragt er in seinem Beitrag. In der DDR war das zumindest zeitweise (bis 1967) anders, als der "Tag der Befreiung" war er allen ein Begriff. Nur: Ist er auch als solcher empfunden worden? Und vor allem: Ab wann? Richard von Weizäcker sagte in der BRD noch 1985, der 8. Mai sei "für uns Deutsche kein Tag zum Feiern". Zu ambivalent sei "die vollständige Niederlage des Vaterlandes". 

Müller-Lorenz hat in dem Zeitstimmenarchiv der Brandenburgischen Literaturlandschaft recherchiert, wie Brandenburger und Brandenburgerinnen das Wort Befreiung 1945 verwendeten. Es lässt sich sagen: So gut wie gar nicht. Unter 1465 Einträgen des Jahres kam es genau zwei Mal vor. Einmal als Hoffnung auf Befreiung durch deutsche Truppen. Und einmal in Anführungszeichen: "Mein Gedanke am Ende dieses 'Befreiungsjahres' ist Fluch und Verwünschung allen Nazis und ihren Gönnern und Freunden, und das sind sie hier alle!"

Müller-Lorenz fragt: Warum also nicht wieder einen 8. Mai als freien Tag einführen, um sich des Vergangenen zu erinnern? In Frankreich, Tschechien, der Slowakei wird er bereits als Feiertag begangen. Wie wichtig der Blick auf das, was war, nach wie vor ist, wird durch die Anhäufung rechtsextremer Gewalttaten und antisemitische Übergriffe deutlich, betont Müller-Lorenz. Ein freier Tag, der es den Menschen ermögliche, an Gedenkveranstaltungen und Podiumsdiskussionen teilzunehmen, könne "die Bedeutung des 8. Mai nur betonen".

Klaus Nickel im Jahr 2020, für die Porträtserie "Verlorene Jugend" in dem Band "Krieg und Frieden" fotografiert von Frank Gaudlitz.
Klaus Nickel im Jahr 2020, für die Porträtserie "Verlorene Jugend" in dem Band "Krieg und Frieden" fotografiert von Frank Gaudlitz.

© Frank Gaudlitz Kulturland Brandenburg 2020

Fotos von Frank Gaudlitz verführen zu eigenen Gedanken

Der Potsdamer Fotograf Frank Gaudlitz verleiht dem gedankenreichen Band optisch Luft. Oder vielmehr: Er verführt zu eigenen Gedanken. Mehrere Bildstrecken kreuzen den Band. Da sind zum Beispiel die Fundstücke aus den ehemaligen Waldlagern der Roten Armee im Brandenburgischen Unterholz. Oder die Porträts der ehemaligen Wehrmachtssoldaten. Alte Männer, alle über neunzig. Haarlos oder weiß, mit Hörgerät oder ohne, rund oder hager. 

Je länger man die Gesichter dieser Männer ansieht, desto mehr erzählen sie. Und doch wird man nie wissen, was diese Augen gesehen, diese Münder vielleicht nie preisgegeben haben. Den zerfurchten Gesichtern hat Frank Gaudlitz Bilder von damals zur Seite gestellt. Junge, glatte Gesichter aus den 1940er Jahren. In Uniform oder in Zivil, lachend oder ernst, stolz oder furchtsam. Die Differenz zwischen beiden, jung und alt, zeigt wie lange es nach Assmann dauert, bis so ein Krieg zu Ende geht. Ein Erwachsenenleben lang. In manchen Gesichtern scheint er noch zu wüten.

"Krieg und Frieden. 1945 und die Folgen in Brandenburg", Verlagskooperation lesen lokal 2020, 179 Seiten, 20 EUR

Lena Schneider

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