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Fließende Formen. Mit spielerischer Gelöstheit bewegen sich die Tänzer auf sandigem Boden – ohne allerdings wirkliche Spuren zu hinterlassen.

© Oliver Autumn/fabrik

Kultur: Kreise im Sand

Die Premiere von Sabine Chwalisz‘ neuer Tanzperformance „Closer to distance“ in der fabrik

Eine sonnige Sandlandlandschaft flimmert per Video durch den Theaterraum. Unter strahlend blauem Himmel dehnt sie sich beinahe endlos bis zum Horizont aus. Auf dem hellen Untergrund sieht man einzelne Büschel von Moosen und Flechten und manchmal die breite Spur eines Autoreifens. Und die Schatten einzelner Menschen. Die vier Performer der neuen fabrik-Produktion „Closer to distance“, die am Freitagabend Premiere hatte, waren selbst in dieser Wüstenlandschaft mitten in Brandenburg.

Und sie haben neben den faszinierenden Eindrücken von Einsamkeit und Weite, die Oscar Loeser filmisch eingefangen hat, auch jede Menge Sand mit auf die Große Bühne gebracht. Der liegt am Anfang des einstündigen Tanzstückes von Sabine Chwalisz ganz jungfräulich da. Und es dauert eine kleine Weile, bis die zwei Frauen und zwei Männer, die am Anfang stehend oder sitzend an den beiden Längsseiten des Sandquadrates verharren, diese unberührte Spielfläche betreten.

Sie tun das mit geschlossenen Augen und treten aus ihren vier Ecken heraus diagonal in einem Kreis zusammen. Immer noch mit ungeöffneten Augen sehen sie nicht, was sie erwartet. Vorsichtig und wie in Zeitlupe gehen zuerst die Frauen in spürenden Kontakt. Doch nach einem kurzen Moment der Erkundung verlassen alle die Spielfläche. Ein Mann (David Brandstätter) nimmt sie dann als Erster in Beschlag. Mal sitzend, mal auf allen Vieren entdeckt er spielerisch die Möglichkeit, in diesem formbaren Untergrund Spuren zu hinterlassen. Gedankenverloren zeichnet er viele Halbkreise, benutzt Hände und Füße und bläst die Sandkörner beiseite.

Die anderen schauen ihm dabei vom Rande des Spielfeldes zu. Einer (Sebastian Kurth) fragt, wer er wohl sei. Das ist Prinzip. Immer, wenn einer oder mehrere Protagonisten das Material erkunden, sehen die übrigen von außen zu. Es ist also klar, der Sand auf der Bühne ist nicht das naturalistische Pendant zur brandenburgischen Wüstenlandschaft, die in wechselndem Tageslicht die ganze Zeit den lebendigen filmischen Hintergrund bildet, sondern hier wird ein sehr formbares Material dazu benutzt, Spuren im Raum und für die anderen zu hinterlassen.

Sand bietet viele Möglichkeiten, stärker als sonst den Boden zu erkunden. Die Geschmeidigkeit des Untergrundes hat Auswirkungen auf die Bewegungen der Tänzer. Vor allem die beiden Männer messen ihn oft mit ihrem ganzen athletischen Körper aus, Drehungen und Sprünge scheinen beinahe mühelos zu gelingen. Und die Bewegungen von Malgven Gerbes, die man in früheren Tanzproduktionen oft spröde erlebte, kriegen hier sehr weiche fließende Formen. Das ist schön, wie auch die spielerische Gelöstheit, die die ganze Zeit in der Gruppe dieser jungen Erwachsenen herrscht.

Absichtslos wie an einem warmen Sommertag scheinen alle der Faszination des Materials erlegen. Kein Wunder, wenn man weiß, dass die Proben zu „Closer to distance“ im vergangenen Sommer auf dem Volleyballfeld im fabrik-Garten begannen. Doch die Choreografin Sabine Chwalisz sagte auch im Vorfeld der Premiere, dass sie mit diesem Stück die Spielweite von Vertrauen ausloten will. Das gelingt an zwei Stellen überzeugend. Einmal, als die beiden Männer in einer beeindruckenden Sequenz nacheinander den Körper des jeweils anderen betreten – da gehört, das konnte man sehen und spüren, jede Menge Vertrauen und Kooperationsbereitschaft dazu. In einer anderen Szene des wie ein Episodenfilm gebauten Stückes, das die Sand-Musik-Geräusche von Vlaicu Golcea stimmig untermalen, begegnen sich Gabriele Reuter und David Brandstätter. Sie versuchen – wie Menschen die sich noch nicht lange kennen – verbal und körperlich die Grenzen des jeweils anderen zu erkunden. Das ist in seiner Ausgestelltheit und durch die frische Präsenz von Gabriele Reuter witzig und lockert wie auch einige andere Textpassagen die insgesamt sehr meditative Performance auf. Die akustische Verständlichkeit der Texte ließ jedoch manchmal zu wünschen übrig und man fragte sich, warum bei einer deutschen Uraufführung der Großteil der Texte in Englisch gesprochen werden müssen.

Insgesamt kreisten „Closer to distance“ wie auch die Darsteller im Schlussbild doch sehr um sich selbst und sind über weite Strecken vor allem der Faszination des Mediums Sand erlegen. Man fühlt sich als Zuschauer mit der Frage nach dem Warum des Ganzen allein gelassen und erlebt nicht nur einmal, wie die eigenen Gedanken in der Weite der sommerlichen Sandlandschaft sehr bereitwillig spazieren gehen.

Nächste Aufführungen am kommenden Wochenende, Freitag und Samstag jeweils 20 Uhr, Sonntag um 16 Uhr in der fabrik in der Schiffbauergasse

Astrid Priebs-Tröger

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