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Kultur: Konzerte, Küsse und ein Bier

Bach und Poesie in der Erlöserkirche

„Tausendmal berührt, tausendmal ist nix passiert“ – dieser alte Klaus-Lage-Hit musste einem geradezu in den Sinn kommen beim Konzert „Bach und Bier“ mit dem Neuen Kammerorchester Potsdam. Denn wie oft hatte man die Brandenburgischen Konzerte und Bachs „Air“ in den vergangenen Jahren irgendwo gehört, gerne als Hintergrund-Gedudel oder auf dem Grabbeltisch für Sentimentales?

Und nun holte Ud Joffe diese Stücke wieder hervor, sieben Mal Johann Sebastian Bach, Fröhliches, Sanftes, Unterhaltsames, Spielerisches, Vertrautes und weniger Vertrautes, und packte es in eine Sommernacht in der Erlöserkirche. Bach, der Kirchenmusiker, kann eben auch unterhaltsam und seine Brandenburgischen Konzerte, die man möglicherweise längst in der Kategorie „Kenn ich schon “ abgelegt hatte, überraschten mit ihrer Freude und Frische – auch oder gerade beim tausendsten Mal. Das Kammerorchester führte das dritte und fünfte Brandenburgische Konzert auf, weiterer Höhepunkt war das Doppelkonzert für Violine, Oboe und Orchester. Viel Aufmerksamkeit und Beifall gab es zuletzt für Orchester und Solisten und deren dialogsicheres Zusammenspiel: Wolfgang Bender, Violine, Marko Zupan, Flöte, Nigel Shore, Oboe und Daniel Trumbull am Cembalo.

„Bach und Bier“ versprach dabei doppelten Genuss, so wie während der bisherigen Konzerte der Saison, die das Orchester stets mit einem zum musikalischen Thema passenden Getränkeausschank kombiniert hatte. Und so gab es in der Pause im grünen Pfarrgarten der Erlöserkirche ein Kaltgetränk der Braumanufaktur Forsthaus Templin. Denn, so Joffe, auch Herr Bach war nur ein Mensch und besuchte gerne mal einen Biergarten. Zur Sinnlichkeit dieser Klassik-Biergartennacht gehörte weiterhin ein Gedichtteil. Klaus Büstrin, bewährter Lesepate des Kammerorchesters, hatte von Dichtern des Barock, darunter einige Zeitgenossen Bachs, die passende Poesie ausgesucht. Gedichte und Verse, die die Urheber in sehr privatem Licht zeigten, als Liebhaber und Verehrer, als Schwärmer, als penible Beziehungsanalysten und detailverliebte Protokollanten. Meistens ging es dabei um die Liebe, die man suchte oder hatte, in der man ruhte oder vor der es zu warnen gab. Und manches hörte sich heute so aktuell an wie damals im 17. und 18. Jahrhundert.

Zum Einstieg schwärmte zunächst Johann Peter Uz, 1720 in Ansbach geboren, vom lieblichen, ländlichen Arkadien, wohin er vor der lauten Großstadt flüchtet – wie modern. Paul Fleming, der Dichter aus Sachsen, fühlte sich geborgen in seiner treuen Liebe, die es ihn mit den Widrigkeiten aller Welt aufnehmen lässt. Und beschreibt an anderer Stelle wunderbar verschmitzt bis biologisch, „wie er geküsset worden“ sei. Eine Beschreibung, die man heute nicht besser liefern könnte. Simon Dachs bekanntes Ännchen von Tharau war voller Anhimmelei und Versprechungen eines ewig Zurückgewiesenen. Johann Burkhard Mencke beschrieb sein Beuteschema, dazu passte Kollege Michael Richeys Feststellung, dass es die perfekte Frau wohl kaum gibt. Nichts Menschliches, so viel wurde klar, war den barocken Dichtern und wohl auch den Komponisten wie Bach fremd. Steffi Pyanoe

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