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Etta Scollo hat in der Kultur Siziliens einen roten Faden für ihre Musik gefunden.

© promo/Luca Luccesi

Konzert in Potsdam: Nicht alle Reisen sind freiwillig

Potsdam feiert Italien. Die PNN begleiten die zahlreichen Veranstaltungen mit einer Sommerserie Heute: Etta Scollo, die Sizilianerin mit Italiensehnsucht, singt am Orangerieschloss.

Dass der Mensch unaufhörlich reist, davon ist Etta Scollo überzeugt. Wenn es etwas gibt, das ihr gesamtes musikalisches Werk durchzieht, dann ist das die Bewegung. „Sogar die Erde reist um ihre eigene Achse“, sagt sie, während sie in ihrer Altbauwohnung in Wilmersdorf Espresso zubereitet – zwischen Instrumenten und geerbten Möbeln ihrer Großmutter aus dem sizilianischen Catania, wo sie selbst 1958 geboren wurde. 2018 hat sie hier, in ihrer Küche, mit anderen Musikern ihr letztes Album aufgenommen und sich mit „Il Passo Interiore“, das beim Freiburger Label Jazzhaus Records erschienen ist, auf die Reise in die inneren Welten von Menschen unterschiedlicher Schicksale begeben.

Der mit Flüchtlingsleid konfrontierten Bürgermeisterin von Lampedusa oder den Hinterbliebenen des Grubenunglücks von Bois du Cazier im Jahr 1956 gab sie damit ihre Stimme, die in den Feuilletons immer wieder als „Die Stimme Siziliens“ bezeichnet wird. Das ist nicht zuletzt auch deshalb so, weil es ihr eine Passion ist, nach den eigenen sizilianischen Wurzeln zu suchen, Liedgut und Dichtung auf Tonträger und Bühnen zu bringen, die außerhalb Italiens unbekannt sind oder drohen, in Vergessenheit zu geraten.

Mit vielfältigem musikalischen Repertoire

So finden sich in ihrem Schaffen etwa eine Hommage an die Volkssängerin Rosa Balistreri, an die arabisch-sizilianische Dichterwelt des 9. bis 12. Jahrhunderts oder auch Sammlungen von Geschichten, Gedichten und Legenden Siziliens. Zu ihrem vielfältigen musikalischen Repertoire gehören dabei unter anderem die Gitarre, das Akkordeon, das Cello, die Barockgitarre, Rahmentrommel, Mandoline, Oud oder Fidel.

Dabei startete die Musikerin ihre Karriere Ende der 1980er Jahre noch in einem anderen Stil. Mit Italo-Pop-Klängen landete sie 1988 einen Nummer-Eins-Hit mit dem Beatles-Cover „O Darling“ in ihrer langjährigen Wahlheimat Österreich. Weitere Chart-Platzierungen folgen. Zu ihrem heutigen, charakteristisch vielseitigen Klangbild aus Pop-Avantgarde, Jazz, klassischen Elementen und traditioneller, folkloristischer sizilianischer Volksmusik findet sie danach im Laufe der 1990er Jahre. Da lebt sie schon einige Zeit nicht mehr in Italien, und genau das weckt schließlich die Sehnsucht in ihr, ihre Heimat neu zu entdecken. Eine musikalische Reise in die Tiefen des kulturellen Erbes Siziliens folgt, zunächst von Hamburg, ab 2005 dann von Berlin aus.

Schlicht, liebevoll und hoffnungsvoll

Obwohl Etta Scollo in der Kultur Siziliens einen roten Faden für ihre Musik gefunden hat, ist es ihr ein Anspruch, sich dabei niemals zu wiederholen. Und so ist auch ihr neues und 13. Album, das am 18. Oktober ebenfalls wieder bei dem Freiburger Label Jazzhaus Records erscheint, „etwas ganz anderes“ als das, was sie bisher gemacht hat, wie sie selbst sagt. Mit „Il Viaggio Di Maria“ – zu Deutsch „Die Reise Marias“ – hat sie, die sich selbst nicht als christlich bezeichnet, traditionelle Weihnachtslieder aus der Jahrtausende alten Schäfer- und Hirtenkultur Siziliens zusammengetragen, die die Flucht der mit dem Jesuskind schwangeren Maria von Nazareth nach Bethlehem zum Inhalt haben. Erschlossen hat sich die Sängerin diese Liedkultur, die mündlich und von Generation zu Generation weitergegeben wurde, vor allem über das Archiv des Ethnomusikologen Antonino Uccello, der in den 1960er Jahren durch Sizilien gereist ist, um die Lieder der ländlichen Bevölkerung in Tonaufnahmen zu sammeln. Damit sei ein wunderbarer Einblick in den Ideenreichtum und die Kreativität der Tierhüter erhalten geblieben, die Instrumente erfunden und gedichtet haben, so Scollo. Schlicht, liebevoll und hoffnungsvoll seien die Schöpfungen dieser Kultur, was sie sehr berühre. Doch: „Nicht alle Reisen sind freiwillig“, sagt sie. Mit der Flucht von Maria und Josef spricht sie auch eines der größten Themen unserer Zeit an, und zwar die lebensgefährliche Flucht über das Mittelmeer, die in den vergangenen Jahren Tausende Menschen das Leben gekostet hat.

Wenn dieses neue Album im Herbst erscheint, wird auch die Musikerin selbst wieder unterwegs sein: „Ich werde eine lange Reise durch Sizilien starten – gemeinsam mit der Autorin und Übersetzerin Klaudia Ruschkowski und ihrem Sohn, dem Fotografen Anton Storch.“ Entstehen soll eine Art Tagebuch zu besonderen Begegnungen und Orten, das Sizilien durch die Augen der Musikerin zeigt. Erscheinen soll es 2020 im Corso Verlag.

Die Sängerin war bereits 2007 in Potsdam

Und jene Italiensehnsucht, die ist es nun auch, die Etta Scollo vorher noch am 31. August zu einem Konzert an das Potsdamer Orangerieschloss bringen wird. Nicht ihre eigene zwar, aber die Sehnsucht des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV., ohne dessen Reisen und große Liebe zu dem südeuropäischen Land das Potsdamer Stadtbild heute wohl ein anderes wäre. Doch nun stehen sie, seine Schlösser und die vielen Villen im italienischen Stil – genug, um das Themenjahr „Italien in Potsdam“ zu begehen.

Anlässlich dazu von der Schlösserstiftung eingeladen, hat sich Etta Scollo bereits im Frühjahr nach Potsdam aufgemacht, um sich den Spielort anzusehen. „Wahnsinnig schön“, sagt sie, und erinnert sich an ein Konzert auf der Wasserbühne im Belvedere Pfingstberg im Jahr 2007. „Ich war schon damals überrascht davon, so etwas hier vorzufinden und habe die ganze Zeit fotografiert.“ Sie freue sich über die Liebe und den Respekt gegenüber der italienischen Kultur, die sich in den erhaltenen Bauwerken spiegele, und die sie durchaus als „authentisch und nicht kitschig“ empfinde.

Für das Konzert an der Orangerie kündigt Etta Scollo ein heiteres und poetisches Resümee der vergangenen zehn Jahre aus den verschiedenen Epochen und Regionen Italiens“ an – passend zu dem Motto des Abends: „La Dolce Vita“. Dafür wird vorher ihre Wohnung erneut zum Mittelpunkt für ihre Musik, wenn sie mit den wegbegleitenden Musikern Susanne Paul (Cello), Hinrich Dageför (Mandoline, Mandola, Portugiesische Gitarre sowie diverse Trommeln) und Daniel Moheit (Akkordeon) hier probt – bevor die Reise weitergeht.

Etta Scollo ist Samstag, den 31. August, 19 Uhr, am Orangerieschloss Sanssouci mit ihrem Programm „La Dolce Vita“ zu erleben. Tickets für 30 Euro, erm. 27 Euro unter www.tickets.spsg.de oder www.potsdamtourismus.de. Außerdem spielt sie am 3. Dezember in Berlin im Quasimodo

Andrea Lütkewitz

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