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Die britischen Punkrocker von "Los Pepes".

© Marek Kucera

Konzert im Leander: Glückstränen im Wohnzimmer

Die britischen Punkrocker Los Pepes spielten im Leander und brachten ordentlich Hitze in die kalte Oktobernacht.

Als die Kinnlade nach den ersten Takten des Openers „Too late, too late“ auf die Lücke zwischen den Schlüsselbeinen sackte, wurde das Aufprallgeräusch von mitreißendem Garagenpunk geschluckt. Doch bevor sich eines der wildesten Konzerte im Leander im Holländischen Viertel Bahn brach, lief es noch sehr lange ganz entspannt ab.

Das Leander ist so etwas wie ein gemütliches Wohnzimmer, in das jemand ein Schlagzeug, Gitarrenboxen und Mikrofonständer geparkt hatte. Jede Wette, dass im Proberaum der britischen Band mehr Platz ist, aber das Flair eines Wohnzimmerkonzertes ist irgendwie auch unersetzbar. Das schönste, fast verschwindende Detail war dabei der Stinkefinger-Aufkleber auf der Marshall-Box – Punkrock eben, zum Abschluss des Tages der Deutschen Einheit. Während andere den ganzen Tag von deutscher Einheit schwadronierten, bekam der Einheitsgedanke bei Los Pepes aus London einen ganz anderen Akzent. Englischer Punkrock aus der Stadt an der Themse, wo er auch irgendwann erfunden wurde – aber mit spanischem Namen und bunt zusammengewürfelten Bandmitgliedern: ein Engländer, ein Australier, ein Japaner und ein Brasilianer, die urbritischen Punk machen, so ist eben der Schmelztiegel London. Willkommen zur Punkrock-Globalisierung.

Bevor es „one, two, three, four“ hieß, war aber erst einmal flaschenklirrendes Entspannen angesagt, Pünktlichkeit interessierte auch keinen der Anwesenden und zu Hause kann man eh machen, was man will. Und plötzlich ging es los, verdammt laut und verdammt geradeaus – im besten 77er-Stil. Und was für ein Einstieg! Dabei sieht die Band witziger aus als die Olsen-Bande: der Sänger mit dem leicht schütteren Jim-Morrison-Gedächtnis-Haarschnitt, der japanische Bassist, der sich als Koteletten-Ersatz zwei längere Haarsträhnen erlaubte und der bärtige Rhythmus-Gitarrist, der unter seiner Melone wie ein Karpfen nach Luft schnappte. Der Schlagzeuger wirkte zurückgelehnt, fast gelangweilt warf er aber so präzise Beats ins Wohnzimmer, dass einem richtig schwindlig werden konnte.

Aber am sehenswertesten war, was der treibende Garagenpunk des Quartetts mit dem dicht gedrängten Publikum anstellte: offene Münder, zuckende Knie und Hüften, die eine oder andere heimliche Glücksträne im Augenwinkel – die sympathischste Schäbigkeit, die jemals mit Garagensound verknüpft wurde. Und ein bisschen Panik war auch mit dabei: Was würde mit dem Rest des Abends geschehen, wenn dieses Konzert vorbei ist? Und das Werwolf-Heulen des Publikums nach einer Zugabe war sogar fast lauter als die Band selbst. Im „Come on, come on!“-Chorus wurden Los Pepes zur finalen Zugabe angestachelt – und spielten glatt ein Motörhead-Cover. Spätestens da gab es kein Halten mehr: Wie sich der Bassist und der Gitarrist anstrahlten, während die Anwesenden einem Rock’n’Roll-Exzess geopfert wurden, das war ein Bild, das sich festbrennen sollte.

Als man weit nach Mitternacht auf die Straße im Holländischen Viertel hinaustrat, konnte man feststellen, dass es deutlich kalt geworden war.

Oliver Dietrich

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