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Platz gefunden. Christoph Starke, 51, gehört zu den Gründungsmitgliedern der Kammerakademie Potsdam und ist Stimmführer der Bratschen. Er fühlt sich wohl in der Mittelstimme. „Ohne uns ist es leer“, sagt Starke.

© Andreas Klaer

Köpfe der Kammerakademie Potsdam: Bei Bach war auch nicht alles toll

Bratschist Christoph Starke wäre mit elf Jahren beinahe von der Musikschule geflogen. Dabei hatte er nur noch nicht das richtige Instrument entdeckt.

Potsdam - Vielleicht ist Christoph Starke Musiker geworden, weil die Mutter als Chemikerin in den Leunawerken arbeitete. „Mach du mal lieber Musik“, hat sie ihrem Sohn geraten. Zudem war der Vater Bratschist am Leipziger Gewandhaus. Starke erlebte schon als Kind, dass das die schönere Arbeit ist. Und etwas Unpolitisches – auch das war der Familie wichtig. Heute ist der 51-Jährige Mitglied der Potsdamer Kammerakademie. Am morgigen Sonntag ist er im Konzert „Teuflische Versuchung“ in der Friedenskirche zu erleben.

Cembalo und fünf Streicher, eine Größe, die ihm sehr angenehm ist. Denn Starke mag nicht im Mittelpunkt stehen, auch weil er findet, dafür ist er nicht gut genug. Aber untergehen in der Masse, einer von zehn Bratschisten im großen Sinfonieorchester zu sein – das wäre ihm zu wenig. Er möchte mitreden, mitdenken, mitentscheiden können. Dieses Bewusstsein, dass Musik nicht nur mit technischer Virtuosität zu tun hat, sondern auch mit Haltung und einem inneren Zugang, das habe sich erst Jahre nach dem Studium entwickelt. Und noch immer wirkt Starke in der Begegnung eher sachlich und unaufgeregt. Er kann aber auch anders. „Wenn ich abends einen Anruf aus Berlin bekomme – kannst du einspringen und morgen Parzival spielen? – dann finde ich das toll“, sagt Starke. „Ich liebe solche Herausforderungen.“

Am liebsten Strauß und Wagner

Opern spielt er gerne, „sie machen mir Spaß“, am liebsten Strauß und Wagner. Neben seiner Arbeit mit der Kammerakademie hilft er an der Komischen Oper Berlin aus und gehört seit einigen Jahren zum Orchester der Bayreuther Festspiele, alle zwei Jahre wird er für den Sommer gebucht. Es gehört zum Konzept des Potsdamer Orchesters, den Musikern Spielraum für weitere Projekte zu bieten. Das unstete Hin und Her, das sich daraus ergibt, ist für Starke normal. Weil auch seine Frau Orchestermusikerin ist, muss das Familienleben mit drei Schulkindern, eines davon chronisch krank, gut geplant werden. Babysitter gehören zum Alltag. Und leider auch, dass er mal eine Probe ausfallen lassen muss, wenn Kinderbetreuung vorgeht. „Aber ich bin ein guter Blattspieler“, sagt Starke. Er habe schon komplette Konzerte vom Blatt gespielt – nicht ideal, doch es beruhigt, dass es in der Not funktioniert.

Christian Starkes Beziehung zur Musik beginnt eher holprig. Die Musikschule in der DDR ist kostengünstig, aber das Unterrichtssystem sehr verschult. Es gibt Zensuren und als Starke, elf Jahre alt, im Fach Geige auf vier steht, soll er rausfliegen. „Mit der Geige hat es einfach nicht gefunkt,“ sagt Starke. Dann aber kommt sein Lehrer auf die Idee, ihm die Bratsche anzubieten. Und das passt. Mit der größeren und tieferen Bratsche, dem Instrument für die Mitte, für Fülle und Substanz, kommt er zurecht. Mit 16 Jahren beginnt er in Leipzig zu studieren. Zu jung, findet er heute. In dem Alter fehle es an emotionaler Reife. „Mit Brahms-Sonaten, die vor Emotionalität nur so strotzen, konnte ich damals nichts anfangen.“

"Wir sind sehr CD-verwöhnt“

1986 bestellt der Vater für 5000 Ostmark eine Bratsche beim Geigenbauer in Erfurt, die spielt er bis heute. Nach dem Studium bekommt er eine Anstellung im Konzerthausorchester Berlin als stellvertretender Stimmführer. „Drei Jahre später habe ich gekündigt,“ sagt Starke, es sei ihm zu langweilig gewesen. Er ist vielleicht „nur“ ein guter Bratscher, aber er will sich darauf nicht ausruhen. In der Nachwendezeit passiert viel in der Musikwelt, Orchester werden aufgelöst, neue gegründet und Starke geht schließlich zum Oriol-Ensemble, das 2001 mit dem Persius Ensemble zur Kammerakademie fusioniert. Hier fühlt er sich wohl. Es ist ein direktes und spontanes Arbeiten und es werde auch mal ohne Dirigent gespielt. Das findet Starke wichtig, weil man dabei lernt, aufeinander zu hören, nicht nur auf den Mann am Pult.

Am Sonntag wird in so einer kleinen Besetzung in der Friedenskirche gespielt. Musik von Bach, Boccherini und da Falla in „historisch informierter Aufführungspraxis“. Das heißt, wie es damals üblich war. „Aber zu Bachs Zeiten wurde gar nicht so toll gespielt wie heute“, sagt Starke. Es gab wenige gute Orchester und Bach habe sich oft über grottige Chöre beschwert. Dass heute live immer alles perfekt klingen soll, findet er unsinnig. „Ein Konzert ist ein Spielerlebnis, etwas Lebendiges. Wir sind sehr CD-verwöhnt.“

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Die Kammerakademie Potsdam wird von den 33 Musikern als GmbH selbst verwaltet. Regelmäßig werden GastSolisten eingeladen, Beim Konzert am Sonntag in der Friedenskirche ist der Cembalist Mahan Esfahani dabei. Die Karten für das Kammerakademie-Konzert kosten 22 bis 30 Euro. Das Programm „Teuflische Versuchung“ umfasst Werke von Johann Sebastian und Carl Philipp Emmanuel Bach, die für die göttliche Seite der Musik stehen, dazu als Kontrast Luigi Boccherinis Sinfonie Nr. 6 d-Moll, „La casa del diavolo“, zu Deutsch „Das Haus des Teufels“, und von Manuel de Falla das „Concerto für Cembalo und 5 Instrumente“. „Ein spannendes Stück, da ist was Teuflisches dazwischen“, sagt Bratschist Christoph Starke. Das Gemenge zwischen Gut und Böse, Gott und Teufel fand sich immer in der Musik wieder. „Früher hat man den Teufel natürlich noch mehr gefürchtet – und das in die Musik gepackt. Das hatte ja auch was Unterhaltsames.“ 

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