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Kultur: Kniefall vor Tucholsky

Marc Kaysers Neufassung entzaubert „Rheinsberg“

Der Sommer soll leicht sein. Luftig und sonnig und sorglos. So wie „Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte“, dieser schmale Band, der Kurt Tucholsky zu Ruhm als Literat verhalf. Als das Büchlein 1912 erschien, war sein Autor gerade Anfang 20 und vom Leben noch unbeschadet. Die beiden Weltkriege waren noch fern.

Ein großer Teil des Zaubers, den das „Bilderbuch für Verbliebte“ auch heute noch hat, erklärt sich aus dem Wissen heraus, dass die Unschuld der 1910er-Jahre ein paar Jahre später für immer verloren sein würde – genauso wie die von Claire und Wölfchen, das junge Pärchen, das in „Rheinsberg“ drei verliebte Tage lang vor der wilhelminischen Enge der Hauptstadt aufs Land flüchtet. Tucholsky hat hierin sich und seine Jugendliebe Else Weil, mit der er 1911 in Rheinsberg war, verewigt. Zehn Jahre später waren sie geschieden. Das ist der Zauber des Buchs: die empörende Kurzlebigkeit des Glücks.

Gilbert und Linn ist der beseelte Zustand der ersten Verliebtheit längst abhandengekommen. Gilbert und Linn sind um die 40, seit zehn Jahren ein Paar und die Protagonisten von Marc Kaysers „Ein Wochenende mit Tucholsky“. Das kürzlich erschienene Büchlein ist der Versuch des in Potsdam geborenen Autors, Tucholskys Liebesgeschichte ins Heute zu versetzen. Kayser war 2013 Stipendiat und Stadtschreiber in Rheinsberg und sein Buch ist ein unverhohlener Kniefall vor Meister Tucholsky: „Liebeserklärung an Rheinsberg“ lautet der Untertitel. Gilbert und Linn, Manager bei der Deutschen Bahn und Künstlerin, flüchten nicht vor Sittenwächtern nach Rheinsberg, sondern vor Handyklingeln und Terminen. Sie reisen nicht mit dem Zug an, sondern mit dem Cabriolet. Aber: Linn geht lieber essen, als Gilbert zu küssen.

Diese Sättigung, und auch das fortgeschrittene Alter der immer noch jugendlich wirkenden Verliebten, das mag etwas über unsere Zeit sagen. Auch Tucholskys leichten, ironisch-schäkernden Tonfall imitiert Marc Kayser gut. Tucholskys Schatten drängt sich freilich etwas übergroß in die Geschichte, und zwar in Form eines alten Mannes, der das Paar mit Weisheiten füttert, die der Meister selbst wohl indirekter verpackt hätte: „Lasst das Steuer los. Trudelt durch die Welt.“

Dennoch könnte das Ganze eine angenehm sommerlich-leichte Lektüre sein – wäre da nicht der Versuch, auszuerzählen, was Tucholsky in der Schwebe ließ. Und damit ist nicht der Sex gemeint, sondern der Grund, warum es mit der Liebe von Gilbert und Linn nicht so geht wie früher. Der etwas begriffsstutzige Gilbert versteht’s schließlich, und alles ist am Ende gut. Nur fühlt man sich auf ungute Weise um das Tiefere, Unlösbare, das bei Tucholsky noch in den leichtesten Texten steckt, betrogen.Lena Schneider

Marc Kayser:

Ein Wochenende mit Tucholsky.

Liebeserklärung an Rheinsberg.

Bild und Heimat Verlag, Berlin 2017,

118 Seiten, 14,99 Euro.

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