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Knabenchor für Potsdam: „Eine durchaus coole Freizeitbeschäftigung“

Hans-Joachim Lustig würde gern auch in Potsdam einen Knabenchor leiten. Warum – und wie? Wir haben mit ihm gesprochen.

Herr Lustig, Sie wollen in Potsdam einen Knabenchor ins Leben rufen, zusammen mit Ud Joffe. Warum sollte ein Knabenchor in Potsdam funktionieren?

Auch wenn viele Leute sagen, einen Knabenchor kann man heute gar nicht mehr machen, die Jungs wollen gar nicht singen – meiner Erfahrung nach stimmt das so nicht. Die wenigsten Jungs halten es durch, in einem gemischten Jugendchor mit einem in der Regel hohen Mädchenanteil lange zu singen. Aber wir erleben es in Uetersen, dass es ganz viele Jungs gibt, die durchaus Lust haben zu singen. Und ich erlebe bei meinem Knabenchor, dass es offensichtlich gelingen kann, die Motivation zu wecken und zu erhalten. Potsdam ist, was das betrifft, eine viel geeignetere Stadt. Eigentlich eine optimale Stadt: Es gibt eine große Auswahl an Jungs, ein hohes Maß an Bildungsbürgertum und kulturell ist hier durchaus mehr los als in Uetersen.

Wie finden dort die Knaben zum Chor?

Uetersen ist eine kleine Stadt, 16 000 Einwohner. Wir gehen in die ersten Klassen der Grundschulen und lassen jeden der Jungs vorsingen.

Sie casten die Jungs?

Ja. Unser Stimmbildner geht am Anfang des Jahres in alle Grundschulen von Uetersen und Umgebung. Es gibt viele Jungs, die zu uns kommen wollen und die wir nicht nehmen können. Weil es zu viele würden – das ist natürlich ein absolutes Luxusproblem –, aber auch weil wir denken, dass für das, was wir wollen, es nicht reichen wird. Und diesen Kindern empfehlen wir andere Chöre. Das kann sich also auch gegenseitig befruchten.

Wie viele Jungs singen bei Ihnen mit?

Im Konzertchor haben wir zurzeit 82 Jungs – 51 Knaben- und 31 Männerstimmen. Insgesamt hat der Chor 120 Mitglieder. Wir haben zwei Vorbereitungsjahrgänge und wenn sie im Konzertchor angekommen sind, singen sie die großen Werke mit.

Welche Werke singen Sie?

Offenheit im Repertoire ist mir wichtig. Sowohl Geistliche als auch Weltliche Musik – wir machen das Weihnachtsoratorium, Mendelsohns Motetten. Aber in Uetersen arbeiten wir auch sehr viel mit zeitgenössischen Komponisten zusammen.

Es handelt sich dabei also um Auftragskompositionen?

Ja. Als ich das erste Mal in Uetersen bei einer Probenfreizeit den Jungs sagte, es würde uns ein Komponist besuchen, fragten die: „Hajo, wieso? Komponisten sind doch tot!“ Sie haben inzwischen begriffen, für sie ist es gang und gäbe, dass ein Komponist jemand zum Anfassen ist und im besten Sinne ein Dienstleister, der sich freut, wenn Musiker und gerade Chöre mit ihm zu tun haben wollen. Kürzlich haben wir gerade in Kooperation mit dem Radiosender Deutschlandfunk Kultur ein CD-Projekt abgeschlossen, für Chor und Rockband. Den Jungs macht das Spaß. Es ist übrigens geistliche Musik, die Schöpfungsgeschichte – von einem lettischen Komponisten, Ugis Praulins. Er hat zwei „Echos“ und zwei Grammy-Nominierungen. Zuletzt war er gerade auf Konzertreise in Toronto, in Tokio – und eben in Uetersen.

Was wäre Ihnen bei einem Knabenchor in Potsdam wichtig?

Offenheit! Für mich wäre so ein Chor nicht nur kirchlich angebunden, sondern eine Art „Stadtprojekt“ ohne Hemmschwellen, in dem Jungs entspannt und engagiert gemeinsam Musik machen. Außerdem wäre mir wichtig, dass all die Chöre nebeneinander bestehen können. Es gibt ein Uetersen einen sehr großen Kinderchor an der Kirche. Wir erleben uns dort nicht als Konkurrenz, sondern als Kollegen. Ein Knabenchor, wie ich ihn mir vorstelle, ist einfach etwas anderes als ein normaler Kinder- oder Jugendchor. Die Jungs proben zweimal die Woche und haben noch professionelle Stimmbildung. Singen kann auch für Jungs eine durchaus coole Freizeitbeschäftigung sein – und die sollte es auch in Potsdam geben!

Die Fragen stellte Grit Weirauch

Hans-Joachim Lustig, Jahrgang 1960, studierte Schulmusik. Er leitet die Chorknaben Uetensen in der Nähe von Hamburg und das Kammerchorensemble I Vocalisti. Er lebt in Potsdam.

Grit Weirauch

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