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Kultur: Kindheit in Gastellowo

Volker Koepp präsentiert beim „Aktuellen Potsdamer Filmgespräch“ im Filmmuseum „Holunderblüte“

Seit mehr als zwölf Jahren reist der Dokumentarfilmer Volker Koepp in das ehemalige Ostpreußen. Sein Interesse für diese faszinierende Landschaft wurde durch die Gedichte von Johannes Bobrowski geweckt. Nach Filmen wie „Kalte Heimat“, „Fremde Ufer“ und „Kurische Nehrung“ kehrt er 2007 noch einmal in diese Gegend zurück. Diesmal holt er sich in Gastellowo (Groß Friedrichsdorf) die Kinder des Ortes vor die Kamera, die ihm aus ihrem Leben erzählen.

Entstanden ist eine Dokumentation, die einem das Herz leicht und schwer zugleich macht. Seine jungen Protagonisten leben im heutigen Kaliningrader Gebiet, dieser russischen Exklave zwischen den EU-Staaten Polen und Litauen. Sie sind in dritter Generation hier geboren. Ihre Vorfahren wurden jedoch aus vielen Teilen der Sowjetunion hierher umgesiedelt, nachdem die früheren deutschen Bewohner in Folge des zweiten Weltkrieges vertrieben wurden. Das hinterließ Spuren in den Köpfen und Herzen der Menschen, genau wie in der Landschaft. Denn erst nach dem Krieg hat der eigentliche Verfall eingesetzt. Es wurde demontiert, zerstört und improvisiert. Die zweite Zerstörung erfolgte mit dem Zusammenbruch der landwirtschaftlichen Kolchosen nach dem Ende der Sowjetunion. Arbeits- und Perspektivlosigkeit mit den bekannten soziokulturellen Folgen – Alkoholismus und Zerstörung von Familien - prägen in den ländlichen Gebieten abseits der Städte das Bild. Zerfallene Infrastruktur, verlassene Gehöfte und üppig wuchernde Vegetation kommen immer wieder ins Bild. Das stimmt den Betrachter ebenso wie der „hohe Himmel“ zum Einen sehr melancholisch. Doch es strahlt zum Anderen auch eine gewisse Faszination und beinahe das Gefühl von Geborgenheit in einer sich immer stärker beschleunigenden Welt aus. Ziemlich abseits von den „Errungenschaften“ der modernen Zivilisation in einer wunderbaren Meeres- und Flusslandschaft lässt es sich gerade für Kinder draußen in der Natur - auf Bäumen und am Wasser - durchaus zufrieden leben.

Das wird in „Holunderblüte“ im Laufe eines ganzen Jahres mit stillen poetischen Bildern immer wieder deutlich. Wunderbar mit welchem Improvisationsgeschick sich die Kinder beispielsweise beim Schaukeln Lebensfreude verschaffen, mit welcher Selbstverständlichkeit sie mit Tieren umgehen oder im Winter auf Plastiktüten einen Hügel bäuchlings herunterrutschen. Diese Kinder erzählen vor der Kamera zumeist unbefangen von ihrem Alltag. Und auch wenn bei einigen von ihnen die Enttäuschung über Erwachsene überaus bittere Töne in ihr Erzählen mischt, gibt es auch diejenigen, die mit Stolz von der Arbeit ihrer Eltern, ihren Wünschen und Zukunftsträumen berichten. Und selbst bei der, durch einen schweren Unfall behinderten Ljuda und der taubstummen Malerin Lena ist eine große Energie und Kraft zu spüren, ihr oft nicht leichtes Leben zu meistern. Das stimmt, wie die Eigenwilligkeit und Direktheit mancher Protagonisten, den Betrachter überaus zuversichtlich. Denn obwohl nicht wenige von ihnen deutlich sagen, dass sie auf jeden Fall weg aus der Gegend wollen, gibt es doch auch Jungen, die es sich vorstellen können, auch als Erwachsene dort zu leben.

Koepp wurde für seine Filme vielfach ausgezeichnet. Er verschafft in ihnen sich und uns Zeit und Raum für Begegnungen mit Menschen und Landschaften. Dabei hört und sieht er genau hin und lässt seine Protagonisten frei reden. Fern von Ideologie und ohne jeden Beigeschmack von Folklore. Seine einprägsamen Dokumentationen schlagen Brücken zwischen Gestern und Heute, zwischen großer Geschichte und dem Schicksal Einzelner.Astrid Priebs-Tröger

29. Januar, 20 Uhr, Aktuelles Potsdamer Filmgespräch zu „Holunderblüte“ mit Volker Koepp

Astrid Priebs-Tröger

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